Es konnte nicht ausbleiben, daß die HNA am vergangenen Montag gleich auf ihrer Titelseite den Tag der Pressefreiheit in seiner Bedeutung würdigte. In der Kolumne „Standpunkt“ zog Nachrichtenredakteur Jörg S. Carl den Bogen zu den russischen Verhältnissen, wo die Pressefreiheit nicht gegeben ist: „Das System Putin hat die Medien im Land gleichgeschaltet und der staatlichen Kontrolle unterworfen.“

Dem wiederum stellt er die Verhältnisse in Deutschland gegenüber, wo es „glücklicherweise keinen Mut [bedarf]“, um kritische Dinge zu schreiben, denn hier scheinen für die Pressefreiheit ideale Zustände zu herrschen: „Nur sie garantiert einen unabhängigen Journalismus, der die Fakten abbildet und der Wahrhaftigkeit verpflichtet ist. Als elementarer Bestandteil des demokratischen Systems ist die Pressefreiheit nicht hoch genug einzuschätzen, weil sie das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens erst möglich macht. (…) Sie ist Voraussetzung für die Meinungsbildung, für die Freiheit der kritischen Rede und der kontroversen Debatte. Darum ist sie einer der zentralen Unterschiede zwischen Demokratie und totalitärem Staat.“- Platituden aus der Echokammer eines Mainstreamjournalisten.
Herr Carl schaut gen Osten und übersieht die keineswegs seinem Idealbild entsprechende Realität hierzulande. Gewiß, in Deutschland riskiert kein Journalist Lagerhaft, wenn er die Regierung kritisiert. Doch auch hier gibt es jenseits eines immer enger gewordenen Meinungskorridor toxische Tabus, die laut anzurühren, empfindliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Was würde einem Journalisten eines großen Pressemediums widerfahren, wenn er nur allein in der Redaktionskonferenz einen der folgenden K.O.-Sätze äußert:
- Der Westen trägt eine Mitverantwortung am Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine
- Fridays for Future ist eine Polit-Sekte
- Gender Mainstreaming ist eine Pseudowissenschaft
- Die Wirksamkeit der staatlichen Corona-Maßnahmen und der Impfungen auf das Pandemiegeschehen werden weit überschätzt
- Die Gefahren des Klimawandels werden medial überhöht
- […]
Belassen wir es bei diesen Punkten, denen wir noch viele weitere anhängen könnten. Wie auch immer, es sind Sätze, die ihren Sprecher sehr einsam werden lassen, zum Unberührbaren, zur Unperson, der für eine weitere Beschäftigung in den MSM zu ungenießbar geworden ist. Wer sich derart äußert, riskiert hierzulande zwar keine 15 Jahre Gefängnis, aber ein informelles Berufsverbot – und zwar lebenslänglich! Und auch Herr Carl hat in seinen Texten nie etwas anderes getan, als sich in den besagten Meinungskorridor zu bewegen und sich seiner Verengung geschmeidig anzupassen.
Es würde den Rahmen sprengen, an dieser Stelle die Ursachen der Glaubwürdigkeitskrise des heutigen Journalismus zu erörtern. Tatsache jedoch ist, daß sie besteht, von vielen Medienkonsumente als solche benannt wird („Lügenpresse“) und auch Thema zahlloser Fachartikel und -publikationen ist. Am deutlichen wurde dieser Mißstand zuletzt in der Coronapandemie, als sich die Mainstreammedien zu regierungsfrommen Verlautbarungsorganen erniedrigt haben, die jeden Zweifler zum „Schwurbler“ und „Querdenker“ diffamierten. Die HNA ist dabei keine Ausnahme, die sonst nichts anderes tut, als dem von den großen Pressehäusern vorgegebenen „Trend“ zu folgen, anstatt eigene Akzente zu setzen.
Eigentlich hätte es Herr Carl gar nicht so schwierig, sich Anschauungsmaterial zu besorgen, wie guter, kritischer Journalismus geht. Das nonkonforme und zunehmend populärere Magazin „Tichys Einblick“ wird in der hauseigenen Druckerei der HNA produziert.
Aber dennoch werden wir uns hüten zu behaupten, Herr Carl sei ein branchentypisches Beispiel dafür, daß man auch trotz abgeschlossenem Studium der Politikwissenschaften und mit jahrzehntelanger Berufserfahrung als Lohnschreiber einer Provinz-Journaille nur über eine beschränkte Sicht verfügen kann – auf sich selbst, seinen Beruf und die Welt insgesamt.