„Die Prognosen lagen weit daneben“ übertitelt die HNA in ihrer Ausgabe den Beitrag über das extrem magere Ergebnis nach zehn Jahren Flughafen Kassel-Calden. Es reicht schon, nur eine Zahl daraus zu wiederholen: Statt jährlich 6-800 000 Fluggäste nutzten in einem Spitzenjahr lediglich 131 000 Passagiere den mit annähernd 300 Millionen Euro errichteten Flughafen-Neubau.

Wer hätte das gedacht, daß es einmal soweit kommen könnte mit diesem Prestigeprojekt? Nun ja, jeder mit gesundem Menschenverstand konnte sich denken, daß diese Region nie einen derartigen Flughafen wirtschaftlich tragfähig erhalten konnte. Zu viele negative Beispiele anderer, vergleichbarer Regionalflughäfen gaben berechtigten Anlaß zur Skepsis. Eine der wenigen prominenten Stimmen, die sich warnend dagegen erhoben, war die von Klaus Becker, damaliger Chefredakteur des „Extra Tip“. Kassel, so der 2010 verstorbene „Journalist der kleinen Leute“ (Horst Seidenfaden), habe bereits einen Regionalflughafen, nämlich den in nur weniger als 100 Kilometern erreichbaren von Paderborn-Lippstadt. Und spätestens als die bei der Eröffnung mit enormen Vorschußlorbeeren ins Amt gehobene Flughafenchefin Maria Anna Muller nach nur 18 Monaten unter entwürdigenden Umständen gefeuert wurde, hätte man endlich aufwachen müssen, um zu erkennen, daß hier etwas nicht stimmt.

Nun, zehn Jahre und inzwischen viele in den Betrieb von Kassel-Calden versenkte Steuer-Millionen später, wäre es endlich einmal an der Zeit, dieses Kapitel einer kritischen Aufarbeitung zu unterziehen, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Und genau hier spielte die HNA eine unselige Rolle! Dieses Wahnsinnsprojekt hätte niemals durchgesetzt werden können, hätte diese Zeitung nicht jene Kampagne gefahren, die die Zukunft des Flughafens in den rosigsten Farben schilderte. Ich habe zwar in meinem Umfeld nicht den Eindruck gehabt, daß da viele darauf hereingefallen wären, aber es reichte aus, es als das entscheidende Narrativ in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Diffamierung der Flughafen-Gegner war darin inklusive, ganz selbstverständlich.
Die HNA, so wurde dem Berichterstatter einmal mitgeteilt, sieht sich als Unterstützer von neuen Projekten zur Förderung der Region und gibt sich diesen positiv aufgeschlossen. Doch diese Form des Lokalpatriotismus, die übrigens in allen Blättern des Ippen-Konzerns gepflegt wird, ist bisweilen von der journalistischen Fachpresse eher negativ aufgenommen worden.
Denn genau darin wird eines der drängendsten Kernprobleme des heutigen Journalismus deutlich: Kritischer Journalismus ist auch immer ein sich selbst beschränkender Journalismus. Es kann nicht Aufgabe von Journalisten sein, „im Namen des Fortschritts“ irgendwelche scheinbar erfolgversprechenden Projekte zu fördern und damit die Öffentlichkeit irrezuführen. Die Aufhebung der Trennung von Nachricht und Meinung zu manipulativen Zwecken wird hier deutlich. Man will künftig sogar explizit bei dem Prinzip bleiben, a priori alle neuen Projekte in der Region schönzuschreiben. Im Fall von Kassel-Calden hat das offenkundige Kirchturm-Denken in ein finanzielles Desaster ohne absehbares Ende geführt.
Doch das Desaster von Kassel-Calden steht nicht allein für dieses Problem. Es betrifft ebenso die unkritische Berichterstattung zu den staatlichen Maßnahmen der Corona-Bekämpfung, wo man sich nur allzu bereitwillig zum Büttel der Regierungspolitik gemacht hat. Und nicht weniger eklatant fielen die Mainstreammedien aus der Rolle, als im Zuge der Migrationskrise 2015/16 unablässig Stimmung gemacht wurde für eine „Willkommenskultur“ und man damit der Spaltung des Landes erheblichen Vorschub leistete. Die Kritiker hingegen diffamierte man als „Schwurbler“ und „Fremdenfeinde“.
Aber eine kritische Presse ist auch immer eine selbstkritische. Diese Fähigkeit war in der Redaktion der HNA allerdings noch nie besonders ausgeprägt. Dabei wäre sie gerade jetzt dringend vonnöten. Und dann sollte sie sich dabei nicht alleine auf den Flughafen Kassel-Calden beschränken, sondern auch hinsichtlich ihrer Berichterstattung zu Corona, dabei insbesondere gegenüber den Impf-Skeptikern, sich einer selbstkritischeren Überprüfung unterziehen. Es fällt auf, daß nun, wo auch Mainstreammedien anfangen hierbei ihre eigene Rolle kritisch zu beleuchten, im Gegensatz dazu in der HNA dröhnendes Schweigen vorherrscht.
Immerhin, mangels Flugbewegungen ist Kassel-Calden vermutlich der umweltfreundlichste Flughafen in Deutschland. Ein gewaltiger Pluspunkt für seine Klimabilanz. Denn wo nichts fliegt, können auch keine Emissionen anfallen. Und wenn wir schon bei diesem Thema sind: Wie man einerseits all die Jahre trotz medial gehypter Flugscham und der Anbiederung an die Klimasekten in der HNA noch an Kassel-Calden festhalten konnte, ist ein Widerspruch, der vermutlich niemanden in der Redaktion aufgefallen ist.