Das Vermächtnis des Tony C.

Es kam am Ende überraschend und unerwartet. Erst verkündete MAGNUM-Mastermind und -Gitarrist Tony Clarkin, daß er an einer seltenen, schweren Erkrankung der Wirbelsäule leide, die zwar behandelbar, aber nicht heilbar sei. Mit der Diagnose kam auch die Absage der Konzerttournee, die eigentlich im Frühjahr dieses Jahres stattfinden sollte. Doch Clarkin versicherte den Fans, daß das nicht das Ende von MAGNUM bedeuten würde. Doch drei Wochen später kam die Nachricht wie ein Paukenschlag: Am 9. Januar gab Clarkins Familie bekannt, daß Tony im Beisein seiner Töchter friedlich entschlafen sei. Er wurde 77 Jahre alt.

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Gemeinsam mit dem charismatischen Sänger und „Storyteller“ Bob Catley bildete Clarkin den Kern von MAGNUM, einer der außergewöhnlichsten Hardrockbands Großbritanniens, die nunmehr auf eine über 50jährige Geschichte mit über 20 Alben zurückblicken kann. Wechselhafter konnte die Bandgeschichte kaum sein: Von vielversprechenden Anfängen in den 1970er Jahren – oft überschattet von Problemen mit der Plattenfirma Jet Records – zum Durchbruch Mitte der 1980er mit „On a Storyteller’s Night“ mit anschließendem Klimmzug in die Topregionen der Charts mit dem Meisterwerk „Wings of Heaven“. Auffallend in dieser Phase war Clarkins düstere Erscheinung im dunklen Mantel und hohen Hut mit Mähne und Bart, als hätte Gandalf aus „Herr der Ringe“ den Zauberstab mit der Gitarre getauscht. Später folgte der radikale Imagewechsel zu Glatze und Kinnbart.

Clarkin selbst gab einmal zu, als Songschreiber kein Naturtalent zu sein: „Ich muß wirklich hart arbeiten, um einen Song zu vollenden. In der Schule habe ich im Englisch-Unterricht genau aufgepasst und zu den Wegen der Komposition, sogar obwohl ich keine Idee hatte, daß ich am Ende dies tun würde. Aber ich wußte, es würde in meinem zukünftigen Leben von praktischem Nutzen sein.“

Die Mühe lohnte sich. Auch ohne Naturtalent gelangen Clarkin außergewöhnliche Kompositionen, thematisch in der Fantasy oder – wie sollte es bei einem Briten anders sein – im Ersten Weltkrieg. Letzteres führte zu den beliebten „Les Morts Dansant“ und dem epischen „Don’t Wake The Lion“:

YT-Clip: „Don’t Wake The Lion“ / MAGNUM

Der Schnapsidee des Plattenmanagements, nun den amerikanischen Markt aufzurollen, folgte der deutliche Knick nach unten. „Goodnight L.A.“, für das Clarkin gemeinsam mit dem legendären Russ Ballard die Songs schrieb, war im Stil des US-Westküsten-Rocks den europäischen Hardrock-Fans nicht zu vermitteln. Und nebenbei – der Eroberungszug in die USA erwies sich als Flop.

An die alten Erfolge konnten MAGNUM von da an nicht mehr anknüpfen.
Mitte der 1990er Jahre fühlte sich Clarkin derart ausgebrannt, daß er MAGNUM auflöste. Es folgte ein kleines Projekt namens HARD RAIN, gemeinsam mit Catley. Es schien, als sei der Sargdeckel über MAGNUM auf ewig geschlossen. Umso größer die Überraschung, als 2002 mit „Breath of Life“ die Wiederbelebung verkündet wurde. Gleichwohl, das Material auf dem Album konnte nicht überzeugen und selbst Clarkin schien sich seiner später zu schämen.

Doch wie seinerzeit bei „On a Storyteller’s Night“ bewies Clarkin, über welches Beharrungsvermögen er verfügte, um auch in den schwierigsten Situationen sein kreatives Potential auszuschöpfen. 2004 brachte „Brand New Morning“ der Band ein kaum für möglich gehaltenes Comeback. Von den ersten Takten des Titellieds bis zum Ende eines der besten Alben, die MAGNUM lieferten.

Von da an liefen MAGNUM wie eine geölte Maschine. Pünktlich alle zwei Jahre kam ein neues Album mit anschließender Europa-Tournee. Besonders erfolgreich waren sie in Deutschland, wo sie nach langer Zeit wieder in den Top-10 vertreten waren. Allerdings war ihr Stil nicht mehr der gleiche wie in der ersten Hälfte ihrer Geschichte, in der ihre Songs vor allem von raffinierten, anspruchsvollen Arrangements geprägt waren, die in epische Klangteppiche mündeten, so wie hier in „Sacred Hour“:

YT-Clip: „Sacred Hour“ / MAGNUM

Was jetzt kam, war solides Handwerk, dessen Produktion Clarkin selbst übernahm. Neue Akzente konnten dem Genre des Hard Rock damit nicht hinzugefügt werden, aber die kontinuierlich hohe Qualität erfüllte die Ansprüche des Publikums zuverlässig. Und der Tradition, in jedes Album einen Titel in epischer Überlänge aufzunehmen, blieb man sich treu. Doch immerhin, „Into the Valley of the Moonking“ (2009) ragt in dieser Spätphase besonders heraus.

Einmal hatte ich sogar das unerwartete Glück eines Pressegesprächs mit Clarkin und Catley. Im März 2018 traf ich beide in der Pause vor dem Soundcheck im Colos-Saal Aschaffenburg. Die Aufregung und Anspannung meinerseits konnten nicht größer sein. Mit einer solchen Prominenz hatte ich es in den bis dahin 20 Jahren als „Freelancer“ noch nicht zu tun gehabt. Mein situationsbedingt holpriges Englisch ließ eine flüssige Konversation leider nicht zu. Dennoch, für meinen Artikel hatte ich daraus genug Stoff sammeln können. Und groß die Erheiterung, als ich sie am Schluß in Verbindung auf ihr beider Alter auf den Song „Rockin‘ Chair“ – Schaukelstuhl (1990) ansprach:

„I ain’t ready for no rockin‘ chair – Ich bin nicht bereit für den Schaukelstuhl“

Warum auch immer, aus einer Veröffentlichung in der „JUNGEN FREIHEIT“ wurde leider nichts. Aber das Erlebnis, die Bandleader meiner Lieblingsgruppe seit Teenagertagen auf ein Gespräch zu treffen, wird für mich immer ein besonderes sein, das alle vorherigen Mühen wert war.

Nun halte ich das neue Album in den Händen. „Here Comes the Rain“ ist am vergangenen Freitag, eine knappe Woche nach Clarkins Tod, erschienen. Die Covergestaltung übernahm wieder der Concept-Art-Künstler Rodney Matthews, dessen Fantasy-Motive allein schon eine Geschichte für sich erzählen. Die darauf enthaltenen zehn Songs lassen nichts zu wünschen übrig und strotzen von einer Vitalität, die jeden aus dem „Schaukelstuhl“ reißt. Musikalische Experimente blieben hier auf den Einsatz eines Harfenspiels beschränkt („After The Silence“). Unwillkürlich muß man bei „I Wanna Live“ an Clarkin denken. Sollten sich bereits in der Produktionsphase die gesundheitlichen Probleme Clarkins bemerkbar gemacht haben, so wirkten sie sich keineswegs auf das Ergebnis aus.

Die Verkaufszahlen von „Here Comes the Rain“ gehen durch die Decke, so daß die vorhandenen CD-Bestände bereits ausverkauft sind. Die Musikkritiker überschlagen sich in ihren Rezensionen. Kann sich ein Musiker einen besseren Abschluß für sein Vermächtnis wünschen?

Tony Clarkins letzte Worte an die Nachwelt:

“I didn’t look to live forever – Ich habe nicht danach getrachtet, ewig zu leben“

Aber die paar Tage, um diesen Erfolg zu erleben, hätte man ihm schon noch gewünscht.

MAGNUM
Here Comes the Rain
(Label: Steamhammer)