„Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welten.“
J. Robert Oppenheimer, die „Bhagavad Gita“ zitierend, eine der zentralen heiligen Schriften des Hinduismus
Am 16. Juli 1945 brach für die Menschheit eine neue Ära an. Mit der in der Wüste von New Mexico erfolgreich gezündeten Atombombe, der ersten ihrer Art, verlief der abschließende „Trinity-Test“ erfolgreich. Es war der Eintritt der Menschheit in das nukleare Zeitalter. Im nachfolgenden August radierten die USA mit zwei weiteren Kernwaffen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki aus. Damit gingen die USA nicht allein als unbestreitbare Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervor, sondern als unbestreitbar dominierende Weltmacht. Nie zuvor verfügte die Menschheit über eine Waffe von derartiger Zerstörungskraft, die über das Potential der Vernichtung der ganzen Welt verfügte. Erst drei Jahre zuvor hatten die USA im Manhattan-Projekt in Los Alamos unter größter Geheimhaltung mit der Entwicklung dieser Waffen begonnen, in einem imaginierten Wettlauf mit Nazi-Deutschland. Der Leiter dieses Projektes war der geniale Physiker J. Robert Oppenheimer (1904 – 1967).
Fast 70 Jahre nach „Trinity“ sorgt Meisterregisseur Christopher Nolan („Batman“, „Inception“) für den größten Wurf des Kinojahrs 2023: „Oppenheimer“ ist das epische Biopic des Vaters der Atombombe. Die Hauptrolle besetzte er mit Cillian Murphy („Peaky Blinders“), der damit vermutlich Colin Farrell und Liam Neeson als die berühmtesten und bedeutendsten Hollywood-Schauspieler aus Irland überholt haben dürfte. Denn so wie Leslie R. Groves – im Film verkörpert von Matt Damon – als militärischer Leiter des Manhattan-Projektes keine klügere Entscheidung treffen konnte, als Oppenheimer für die wissenschaftliche Leitung auszuwählen, so erging es Nolan mit Murphy, mit dem er bereits in früheren Produktionen tragende Nebenrollen besetzt hatte.
Die Irish Times hob in Murphys Auftreten seinen „saphirblauen Blick und die gewundene Intensität“ hervor, die ihn mit einem Millionenpublikum vertraut machten. Über seine Rolle im neuen Nolan-Blockbuster sagte er: „Ich liebe es, mit meinem Körper darzustellen, und Oppenheimer hatte eine sehr deutliche Körperlichkeit und Silhouette, die ich richtig wiedergeben wollte.“ Murphy verlor zur Vorbereitung auf die Rolle massiv an Gewicht, um Oppenheimers dürre Figur zu erreichen, angeblich aß er dazu nur eine Mandel am Tag.
Doch nicht nur die äußere Gestalt Oppenheimers vermochte Murphy perfekt darzustellen, auch seine innere Zerrissenheit, seine privaten Tragödien, seine plagenden ethischen Zweifel über den Einsatz der Bombe und wie er nach Ende des Zweiten Weltkriegs bemüht war, den mit ihr verbundenen Ungeist unter Kontrolle zu halten. In Murphys Schauspielkarriere ist „Oppenheimer“ seine bislang größte Rolle, und es dürfte keine Überraschung sein, wenn sie ihm den Oscar einbrächte.
Nolans Erzählweise ist keine linear-chronische. Die verschiedenen Abschnitte aus Oppenheimers Lebens wechseln übergangslos mit Rückblenden ab. Dazu in Schwarz-weiß jene Szenen, die von Oppenheimers heimlichem Gegenspieler Lewis Strauss bestimmt sind, einem Geschäftsmann und Politiker, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus kleinlicher Rachsucht einen intriganten Feldzug gegen Oppenheimer führte, der dann am Ende doch auf ihn selbst zurückfiel. In der Rolle von Strauss, kaum wiederzuerkennen, sorgte Robert Downey Jr. für eine der Überraschungen des Films.
Auch auf die Gefahr hin zu spoilern: Die Zündung der Trinity-Bombe, der inszenatorische Höhepunkt in dem ansonsten für Nolan-Verhältnisse an Spezialeffekten eher armen Film, haut das Publikum geradezu in die Sitze. Doch weniger diese Szene sollte dem Zuschauer in Erinnerung bleiben, als die, in denen das komplexe und konfliktträchtige Wirkungsverhältnis zwischen Wissenschaftler, Politikern und Militärs zum Tragen kommt, bei dem letztlich die Ethik auf der Strecke geblieben ist. Geradezu verblüffend, aber auch beklemmend, wirkt die Anwendung des uns heute so vertrauten Machtinstruments der Kontaktschuld, wenn es darum ging, Wissenschaftler wie Oppenheimer bloßzustellen. Wie sich die Dinge ändern und doch alles gleich bleibt: Ging es damals um Verbindungen zu Kommunisten – gerade im akademischen Umfeld der damaligen Zeit alles andere als ungewöhnlich – so kann heute der Kontakt zu allem und jedem, was „rechts“ ist, zum existenzbedrohenden Vorwurf gemacht werden. Die Führungselite des Landes, das er so sehr liebte, machte ihn noch zum Sündenbock für den damals ohnehin absehbaren nuklearen Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion und den Verlust des atomaren Monopols durch einen unter Oppenheimer in Los Alamos arbeitenden Sowjetspion. Am Ende steht die bittere Erkenntnis: Selbst in einer Demokratie, wie in den USA, war Oppenheimer nicht davor geschützt, vorgeblich aus Gründen der nationalen Sicherheit regelrecht zersetzt zu werden.
Nolans Grundlage für seinen „Oppenheimer“ war die 2010 erschienen Biographie von Kai Bird und Martin J. Sherwin. In ihrem Vorwort schrieben sie:
„Der rebellische Halbgott Prometheus stahl Zeus das Feuer und brachte es den Menschen: Oppenheimer brachte uns das atomare Feuer. Als er jedoch nach Möglichkeiten suchte, es zu beherrschen, als er versuchte, uns vor dessen fürchterlichen Gefahren zu warnen, erhoben sich die Mächtigen – wie weiland der zornige Zeus -, um den modernen Prometheus zu strafen.“
Heute, mehr als ein Jahr nach Beginn eines bis dahin nicht für möglich gehaltenen Kriegs in Europa, in welchen eine der führenden Atommächte mit dem weltweit größten Kernwaffenarsenal der Welt direkt verwickelt ist und die größte Atommacht der westlichen Welt indirekt, sind Oppenheimers Warnungen aktueller denn je. Der (Un)Geist, den Oppenheimer aus der Flasche ließ, wird man wohl nicht dahin zurückbekommen. Es bleibt nur die Hoffnung, daß er unter Kontrolle bleibt.
Kai Bird, Martin J. Sherwin J. Robert Oppenheimer: Die Biographie 2010, 704 Seiten 16,99 EU |