Wenn soziale Deprivation den gesellschaftlichen Nährboden für massenhaften Drogenmißbrauch bildet, dann ist eine Stadt wie Detroit der perfekte Acker für Rekordernten. Einst die Hauptstadt der amerikanischen Automobilindustrie ist sie seit deren Niedergang nur noch ein urbaner Kadaver. Soweit zur Hintergrundkulisse der aktuellen, zweiteiligen Comic-Reihe „Spider“ aus dem Splitter Verlag, deren finaler Band im vergangenen Monat auf den Markt kam.
Rasend verbreitet sich in der Stadt eine geheimnisvolle neue Droge, genannt „Spider“. Aufgenommen wird sie über den Verzehr lebender Spinnen. Wie in einer grotesken Nachahmung der achtbeinigen Spinne huldigen die „Spider“-Junkies durch das Abschneiden der beiden Ringfinger ihrem neuen Gott Anansi. Doch im weiteren Fortgang ihrer Sucht machen ihre Körper eine grauenvolle Transformation durch zu abnormalen Wesen, denen nichts Menschliches mehr anhaftet.
Detective John Brandt ermittelt gegen die das „Spider“ vertreibende Organisation „das Netz“. Gegen seinen ausdrücklichen Willen stellt ihm sein Vorgesetzter Captain Wood einen jungen Frischling an die Seite, Charlene Wood. Sehr rasch werden sie mit den entsetzlichen Auswüchsen der neuen Drogen-Epidemie konfrontiert. Und während Brandt die schweren Verletzungen auskuriert, die ihm ein Spider-Junkie mit seinen schier übermenschlichen Kräften zugefügt hat, kommt Wood dem „Netz“ auf selbstmörderische Weise immer näher.
Der Szenarist Christophe Bec dürfte in der Comic-Szene der bekannteste Kopf in dem Team sein, das die „Spider“-Serie kreiert hat und dem weiter Giles Daoust und der Zeichner Stefano Raffaele angehören. Unverkennbar findet sich in der Story die unverwechselbare Handschrift Becs, dem bereits mit „Heiligtum“ ein Meisterwerk mit dem Potential zum Kult-Klassiker gelungen ist.
Zwar bewegen sich die Charaktere in nur allzu klischeehaften Bahnen, wie sie einem aus vielen gängigen Polizeiserien vor allem us-amerikanischer Provenienz bekannt sind: Die Hauptfigur besetzt mit einem sozial inkompatiblen, abgehärteten Polizisten mittleren Alters, sein Sidekick eine junge Frau, der ihnen vorgesetzte Chief ein Quoten-Schwarzer mit ausgeprägtem Hang zum Zynismus und effizierter Zielorientierung. Und als Antagonistin eine geheimnisvolle, bizarre Schönheit mit dem treffenden Namen Arachne.
Den Reiz von „Spider“ macht aber vor allem zum einen die düstere Atmosphäre der Zeichnungen aus, die von dem Koloristen Marcelo Maiolo den perfekten Feinschliff erhielten. Dies fällt besonders im Lokalkolorit der Ruinen und Elendsbehausungen Detroits ins Auge. Zum anderen ist es die amorphe Gestalt des Bösen, die hinter dem alle bisherigen Vorstellungen von Drogen sprengenden „Spider“ steht und für die das Symbol der Spinne steht, eine kaum ansehnliche Arten enthaltende Gattung, vor die die Menschheit im Laufe ihrer Evolution aufgrund der potentiellen Letalität mancher giftiger Exemplare einen ausgeprägten Abwehrinstinkt entwickelt hat.
Ein erstaunliches Wagnis ging das Team mit einer bestimmten Facette der Protagonistin Dubowski ein: Die junge Polizistin ist getrieben von einem Kindheitstrauma, das ihr durch den Mißbrauch durch die mehr als burschikosen Lebenspartnerin ihrer lesbischen Mutter zugefügt wurde. Ein derartiger Verstoß gegen die Sitten der „political correctness“ im Zeitalter der „Woke“-Bewegung, die vor allem bislang sexuelle Minderheiten gegenüber den Heteros positiv hervorzuheben versucht, birgt auch dann das Risiko zum Shitstorm, wenn die übliche Klientel, die Comics kauft, hierin kein Problem zu sehen scheint.
Arachnophobie, die krankhafte Angst vor Spinnen, ist begründet in den tiefen Urängsten der menschlichen Seele. Darauf aufbauend ist „Spider“ eine außergewöhnliche Horrorstory, die geschickt mit diesen Ängsten spielt, Ekelgarantie inklusive.
SPIDER #1 – Rabbit Hole |
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SPIDER #2 – Wonderland Bec, Daoust & Raffaele Splitter Verlag 56 Seiten; 16,- EURO |