Ein Philosoph an der Front

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32-33/25 / 01. August 2025

Ein Philosoph an der Front
Am Ende eines Goldenen Zeitalters: In Trier erinnert eine Landesausstellung an den römischen Kaiser Marc Aurel

Daniel Körtel

Gerade einmal handtellergroß ist das mit einer verwitterten Schrift beschriebene rechteckige Holztäfelchen, das derzeit in einer Vitrine des Rheinischen Landesmuseums Trier ausgestellt ist. Das unscheinbare Artefakt aus Roșia Montană im rumänischen Siebenbürgen fixiert einen genau datierten Arbeitsvertrag, der im Jahr 164 n. Chr. zwischen einem Arbeiter und dem Betreiber einer Goldmine geschlossen wurde. Neben dem darin festgesetzten Lohn muten die Regelungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, wie auch bei wetterbedingtem Arbeitsausfall, heute besonders modern an und zeugen von einem hohen institutionellen Niveau.

Mar Aurel Büste / Trier / © D. Körtel

Dieser Arbeitsvertrag fällt in das Goldene Zeitalter des Römischen Reiches. Es war auch das der Adoptivkaiser, die sich sowohl durch Tugend als auch Mäßigung auszeichneten und so das Reich in eine außerordentliche Phase des Friedens und Wohlstands führten. Diese Phase auf dem Höhepunkt der Pax Romana begann 96 n. Chr. mit dem Regierungsantritt von Nerva und endete 180 n. Chr. mit dem Tod des als Philosophenkaiser populär gewordenen Marcus Aurelius Antoninus. Ihm widmet das Rheinische Landesmuseum Trier eine Sonderausstellung mit dem Titel „Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“. Gezeigt werden Exponate aus 17 Ländern und Leihgaben aus Häusern wie dem Louvre, den Vatikanischen Museen oder dem British Museum.

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Seine Hingabe zur stoischen Philosophie, deren Grundsätze er in den bis heute vielgelesenen „Selbstbetrachtungen“ hinterlegte, seine gewissenhafte Regierungsführung, der hohe Anspruch an sich selbst – all das hat den 121 n. Chr. als Abkömmling der hispanischen Oberschicht geborenen Marc Aurel zu einer Art „Sehnsuchtskaiser“ nachfolgender Generationen werden lassen.

Als Feldherr war der Kaiser fast permanent im Krieg

Und wie sehr diese Eigenschaften auch von den heutigen Zeitgenossen ersehnt oder vielleicht eher in ihrer politischen Elite vermißt werden, macht der interaktive Teil zu Beginn des den Lebensweg des Kaisers folgenden Ausstellungsparcours deutlich. Hier kann der Besucher mittels blauer Schaumstoffbällchen sein Votum in gläserne Urnen abgeben, ob er den Prinzipien der Stoa mit ihrer Betonung der Gelassenheit, der Hinnahme des Unabänderlichen und der Hingabe zu Vernunft, Pflichten und Tugenden den Vorzug gibt oder eher nicht. Dem Hedonismus der medialen Spaßgesellschaft zum Trotz liegen diese Ideale noch immer hoch im Kurs!

Doch die Zeit des Kaisers Marc Aurel war keine einfache. Eine Zeitenwende kündigte sich an und mit ihr ein neues Aufrüstungsprogramm. Kaum war er im Amt, stand im Orient der Krieg mit den Parthern ins Haus. Auch an der Donaugrenze wurde es unruhig, mit Einbrüchen der germanischen Markomannen bis tief nach Norditalien. Und mit dem Krieg im Orient kam zudem die Antoninische Pest in das Römische Reich.

Hierzu wurden die Ergebnisse eines Kooperationsprojektes vorgestellt, das über die Altersbestimmung von Holzfunden den pestbedingten Rückgang der Bautätigkeit abzuschätzen versuchte und so mittelbar das Ausmaß der Krankheit. Nach den bisherigen Erkenntnissen kann bei der vermutlich mit den Pocken identischen Pest nicht von einer Pandemie ausgegangen werden. Eher gab es wohl Cluster regionaler Krankheitsausbrüche, die die Resilienzkräfte des Reiches nicht überforderten. Damit fällt die Antoninische Pest als eine der Krisenursachen für den Untergang des Römischen Reiches aus.

Aufgrund ihrer Dauer nehmen die Kriegszüge Marc Aurels einen großen Teil der Ausstellung ein, in deren Bereich der Besucher unter den martialischen Klängen von Marschschritten der Legionäre eingeführt wird: „Rom rüstet sich“. Als Feldherr war der Kaiser fast permanent an der Front. Offen bleibt die in der Ausstellung aufgeworfene Frage: „Verteidigung oder Expansion?“ Plante Marc Aurel in Abkehr vom Konsolidierungskurs seiner Vorgänger die Ausdehnung des Reiches nach Norden?

Zahlreiche Funde, unter anderem aus den anhaltenden Grabungen beim tschechischen Mušov, vermitteln einen Eindruck von der Ausrüstung des römischen Militärs. Auffallend sind die Glasfunde aus den Gräbern germanischer Fürsten, offenbar Geschenke römischer Herkunft. Besonders ragt der bronzene Drachenkopf einer römischen Standarte hervor.

Die Reliefdarstellungen der Marc-Aurel-Säule in Rom mit ihren heute verstörend wirkenden Brutalitäten, wie dem Köpfen von Gefangenen und der Versklavung ihrer Angehörigen im Angesicht des Kaisers, nimmt die Ausstellung zum Anlaß, dem heutigen idealisierten Bild des Philosophenkaisers bewußt den brutalen Feldherren gegenüberzustellen.

Aurels „Selbstbetrachtungen“ dienen bis heute der Inspiration

Diese Perspektive der Ausstellungsmacher mag zum Nachdenken anregen, ist jedoch eine sehr ahistorische, da sie in unzulässiger Weise moderne Maßstäbe der Kriegsführung auf einen antiken Kontext projiziert. „Vae victis – Wehe den Besiegten“ – was heute als Kriegsverbrechen gewertet wird, war damals die gängige Normalität, die die Römer selbst oft genug leidvoll erfuhren.

Doch der Nachruhm des Kaisers gründet nicht auf seiner Rolle als Feldherr. Das entscheidende Erbe Marc Aurels liegt in den in seinem letzten Lebensjahrzehnt entstandenen „Selbstbetrachtungen“, jener Sammlung von Aphorismen, in denen sich sein Verständnis stoischer Philosophie widerspiegelt. Dabei geht es um eine ganzheitliche Welterfassung, um Akzeptanz schicksalhafter Konstellationen, ein Streben nach innerer Ruhe und Gelassenheit. Über Generationen hinweg wurden sie seit ihrer Wiederentdeckung in der Frühen Neuzeit zur Inspiration der Nachwelt, darunter Persönlichkeiten wie der Preußenkönig Friedrich der Große oder Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Ausstellungsmacher tragen dem Rechnung, indem sie eine Auswahl daraus als „zeitloses und sehr persönliches Zeugnis eines römischen Kaisers“ vorstellen.

Rheinisches Landesmuseum Trier / © D. Körtel

Ein gescheiterter Usurpationsversuch veranlaßte den Kaiser 175 zur Regelung seiner Nachfolge. Erstmals seit fast einem Jahrhundert stand mit seinem einzigen überlebenden Sohn Commodus ein dynastischer Nachfolger zur Verfügung. Commodus jedoch war in jeder Hinsicht das Gegenteil seines Vaters und trat in die Tradition von übel beleumundeten Tyrannen wie Caligula und Domitian, bevor er wie diese einem Mordkomplott zum Opfer fiel. Das Goldene Zeitalter Roms jedoch, so schließt die Ausstellung mit einem Zitat des Geschichtsschreibers Cassius Dio, verkam zu einem „von Eisen und Rost“. Doch weit über die Dauer der Existenz des Reiches hinaus hallt das Charisma eines seiner bedeutendsten Kaiser, der vielleicht nicht den Lauf der Geschichte veränderte, aber in seiner stoischen Lebenseinstellung zum Vorbild vieler anderer wurde.

Die Ausstellung „Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“ ist bis zum 23. November 2025 im Rheinischen Landesmuseum Trier, Weimarer Allee 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 400 Seiten mit Fachbeiträgen und zahlreichen farbigen Abbildungen kostet im Museum 29,90 Euro. Parallel dazu findet im Stadtmuseum Simeonstift, Simeonstraße 60, die Ausstellung „Marc Aurel. Was ist gute Herrschaft?“ statt, wo anhand einer Vielzahl von künstlerischen Objekten und Gemälden dem über die letzten Jahrhunderte veränderten Verständnis nachgegangen wird, was gute Herrschaft ausmacht.

https://marc-aurel-trier.de/rheinisches-landesmuseum/

Artikel im Original aus der JUNGEN FEIHEIT:

 

Alexander Demandt
Marc Aurel: Der Kaiser und seine Welt
2020, 592 Seiten
Verlag Beck
32,- Euro


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