Die Protokollanten des Ampel-Irrsinns

Mit Henryk M. Broder verbindet mich ein besonderes Erlebnis. Es war zur Buchmesse Frankfurt 2013, als der Publizist auf dem Stand der „WELT“, für die er als Kolumnist tätig ist, sein Buch „Die letzten Tage Europas. Wie wir eine gute Idee versenken“ vorstellte. Gleich zu Beginn zeigte er durch eine einschlägige Mimik seine Entrüstung und sein Unverständnis darüber, daß zur gleichen Zeit nur zwei Stände weiter Charlotte Roche („Feuchtgebiete“) ihren Auftritt hatte. Nach zwei Kapiteln aus seinem Buch bot Broder dem Publikum an, ein weiteres vorzulesen, allerdings nur unter diesen zwei Bedingungen:

„Erstens: Sie kaufen mein Buch“, um dann im Ton deutlich anzuheben:

„Zweitens: Sie versprechen mir, nie wieder in Ihrem Leben Grün zu wählen!“

Zu einer Zeit, als die Grünen bereits die Lieblinge der Mainstreammedien waren, hatte die „Revolverschnauze“ (Götz Kubitschek über Broder) und Meister der pointierten Beleidigung, wenig Hemmungen, das publizistische Feuer auf die Partei zu eröffnen, die selbst in der Opposition dieses Land tiefer umgestaltet hat als kaum eine andere. Wie wenig diese „Umgestaltung“ – neudeutsch: „Transformation“ – Deutschland zum Positiven verändert hat, ist nie deutlicher geworden, als bei der gegenwärtigen Regierungsbeteiligung der Grünen in der Ampel-Koalition, die seit 2021 regiert. Gemeinsam mit Reinhard Mohr, einem abtrünnigen Altlinken, protokollierte Broder den aktuellen Zustand des Irrsinns, in dem Deutschland immer tiefer im Ampelsumpf versinkt: „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“.

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Schon der Neologismus „Germanistan“ im Titel weckt Assoziationen an ein Third-World-Shithole. Und genau diesem deprimierenden Befund kann man sich nach Lesen dieses im sarkastischen Tonfall gehaltenen Protokolls nicht entziehen. Die vergangenen zwei Jahre der Ampel-Regierung bieten in ihrer Ereignisdichte eine Fülle von Symptomen, die den Befund über den Abstieg unseres Landes in die Liga der Dritten Welt zwingend nahelegen:

„Endemischer Moralismus, realitätsferne Illusionen, Größenwahn und Selbstverleugnung, schlechte Laune und Angst vor der Freiheit, dazu Vollkasko-Mentalität und apokalypseversessene Wohlstandsverwahrlosung mit einer kräftigen Portion Geschichtsvergessenheit, die sich als ‚Lehre aus der Geschichte‘ tarnt – darum geht es in diesem Buch.“

Das Buch unterteilt sich in drei Kapitel, in denen die jeweiligen Ereignisse thematisch aufbereitet werden. Das erste Kapitel mit dem Titel „Schöne Illusionen oder Die Realitätsblindheit der Büllerbü-Republik“ nimmt vor allem die geistreichen Sottisen aus prominentem Mund aufs Korn, sei es Karl Lauterbach und sein merkwürdiges Verständnis von der Statistik über Impfschäden oder der Soziologe Heinz Bude, dessen seltsame Bemerkung von „Impfgegnern nach Madagaskar“ mit einem ähnlichen Plan der Judendeportation auf diese afrikanische Insel verbunden wird. Einen besonderen Verriss erfährt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, für seine Forderung, mit der Bekämpfung antijüdischer Ressentiments bereits im Kleinkindalter zu beginnen.

Persönlich wird Broder beim Selbstbestimmungsgesetz, daß jedem Menschen die freie Wahl seines Geschlechts einräumt:

„Ich hätte gerne eine andere oder eine weitere Staatsangehörigkeit. Nicht, dass ich mit meinem deutschen Pass unzufrieden wäre, aber einen monegassischen fände ich schicker. Oder einen maltesischen. Ich habe ein Faible für kleine Staaten. Gehe ich vielleicht zu weit? Habe ich da etwas missverstanden? Es ist doch ganz einfach: Wenn ich das Recht habe, der Natur ins Handwerk zu pfuschen und mich, allen männlichen Attributen zum Trotz, zur Frau zu erklären, dann müsste ich auch das Recht haben, mein Alter und meine Nationalität selbst zu bestimmen. Kann man den Sinn des ‚Selbstbestimmungsgesetzes‘ überhaupt anders verstehen?

Den ersten Schritt in mein neues Leben als Henrike habe ich bereits getan. Ich parke nur noch auf Frauenparkplätzen. Soll doch einer mal kommen und sagen, ich sei keine. Den mache ich rund, als sei ich ein Kerl.“

„Aktivismus“ ist eine der schlimmsten geistigen Verirrungen unserer Zeit. Im Kapitel „Moralismus als neue Gratis-Tugend – die gute Absicht zählt“ wird diese Untugend entsprechend gewürdigt. Zum Beispiel anhand der Ostermarschierer, der Mutter aller deutschen aktivistischen Bewegungen, über die sich die Autoren lustig machen:

„Der Aktivist Reiner Braun vom ‚Netzwerk Friedenskooperative‘ zählt im Tagesspiegel ‚etliche historische Gelegenheiten‘ auf, bei denen man eine Einigung mit Russland hätte erreichen können. Doch inzwischen, so der Friedenskämpfer, hätten die Ukrainer ‚ihr Selbstbestimmungsrecht verwirkt‘, der Staat sei bankrott, korrupt, kaputt. Putins ‚Spezialoperation‘ also ein Akt christlicher Nächstenliebe. (…)

Nun gehört es zu religiösen Exerzitien, dass sie immer gleich ablaufen, ob ‚Urbi et Orbi‘, der österliche Segen des Papstes auf dem Petersplatz, oder das Frühlingsfest der Volksmusik mit Florian Silbereisen, und so ist auch bei den Ostermärschen allenfalls in Nuancen eine Abweichung vom Ritus zu beobachten. Den lässt man sich auch von der hässlichen Wirklichkeit nicht zerschießen. Dieser Hang zum Idealismus ist ein wahres Markenzeichen von Germanistan in den Zeiten der Ampel. Und so wird die Tagesschau auch an Ostern 2024 wieder eine ‚positive Bilanz‘ der Ostermärsche vermelden, ganz egal, was bis dahin in der Ukraine, im Nahen Osten oder auf Taiwan passiert sein wird.“

Der Hang zur Apokalypse ist in wohl kaum in einem anderen Volk so tief verankert, wie dem der Deutschen. Kaum verwunderlich, daß dieser in der bunten Ampel-Republik neue Blüten treibt. Und so heißt das dritte und letzte Kapitel aus dem Buch von Broder / Mohr treffend: „Die deutsche Apokalypseverliebtheit oder Untergang ist immer“. Und kaum eine Aktivistengruppe habe diese irrationale Sehnsucht nach der Apokalypse so verinnerlicht wie die Klimaschützer der „Letzten Generation“:

„Macht man sie – freundlich und höflich – darauf aufmerksam, Deutschland sei nur mit einem Prozent an der globalen Bevölkerung beteiligt und für etwa zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, also klimapolitisch ein Zwerg, dessen Verschwinden dem Klima nichts ausmachen würde, dann erwidern sie: ‚Umso mehr kommt es darauf an, dass wir mit guten Beispiel vorangehen. Wenn die anderen sehen, dass wir es können, werden sie uns folgen.‘

Das ist deutscher Größenwahn in klimatöser Vollendung. Die Kränkung, bestenfalls ein Gartenzwerg zu sein, der mit den Alphatieren unter den Weltverschmutzern nicht mithalten kann, verwandelt sich in Stolz über eine Poleposition, die das Schicksal den Deutschen zugedacht hat. Wer, wenn nicht wir? Und wann, wenn nicht jetzt? Es ist, als würde sich der Kleingartenverein ‚Glück im Winkel‘ um den Auftrag bemühen, die nächste Bundesgartenschau ausrichten zu dürfen.“

In einer spektakulären Hungerstreikaktion in der Nähe des Reichstags 2021 haben Klimaaktivisten der Welt noch drei bis vier Jahre Zeit zum Umsteuern gegeben, es sei eine Frage auf Leben und Tod. Das würde zufälligerweise in die Zeit der nächsten Bundestagswahl fallen. Genau der richtige Zeitpunkt, um in das Bücherregal zu greifen und „Durchs irre Germanistan“ zu lesen, um festzustellen, daß zu jenem Zeitpunkt das Land immer noch nicht im Hitzesturm untergegangen ist, aber auf seinem Weg in den endgültigen Wahnsinn ein paar bedeutende Schritte weitergekommen ist.

Zwei Termine für Lesungen seines Buches stehen für Broder an. Als nächstes am 31. Januar 2024 in der Berliner Bibliothek des Konservatismus und danach am 17. März auf Schloss Ettersburg bei Weimar. Es ist bezeichnend, daß es zwei ausgewiesene Stätten des Nonkonformismus sind, die Broder, der heute nicht mehr Gast in den Medien des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks sein darf, zu Wort kommen lassen.

Aus gemeinsamen Tagen, als Broder noch Gast sein durfte in Jan Böhmermanns Sendung NEO MAGAZIN ROYALE (2018):
„Jan Böhmermann, ZDF-Reichsverweser, der neuen deutschen Lachkultur, der Blockwart der ‚Netzgemeinde‘, und führender Abschnittsbevollmächtigter der einzig erlaubten Denkungsart“
(aus: „Durchs irre Germanistan“)

Henryk Broder / Reinhard Mohr
Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik
Europa Verlag
224 Seiten; 20,- Euro

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