Musik über den Tag hinaus

I start to drift with the tide
Maybe I’ll reach, I’ll reach the beach
My heart is sealed watertight
Maybe I’ll reach, I’ll reach the beach
(Refrain aus „Reach the Beach“; THE FIXX; 1983)

Kürzlich war in einem Beitrag auf WELT ONLINE zu lesen, die Rockmusik der 1980er Jahre sei scheußlich gewesen. Sein Verfasser, der Schriftsteller und Experte für Populärmusik Frank Schäfer, sollte es als Jahrgang 1966 Geborener eigentlich besser wissen. Im Gegenteil, die 1980er Jahre waren das letzte Jahrzehnt echter Kreativität, bevor Castingshows und derselbe Klangbrei aus der elektronischen Konserve den Auswahlprozess übernahmen. Einiges davon mag dem ökonomischen Druck geschuldet sein, dem die Musiklabels vor allem durch die freie, und damit weitgehend kostenlose Verfügbarkeit unterliegen. Aber es sagt einiges aus, wenn jemand wie Phil Collins feststellt, mit seinem Gesicht hätte er in unserer heutigen Musikwelt keinen Plattenvertrag mehr bekommen. Die führenden Künstler der damaligen Zeit standen für Originale und nicht für ein künstliches Produkt. Und so ist es vermutlich auch kein Zufall, daß Mottoparties der 80er Jahre mit ebendiesem Sound sich nach wie vor bleibender Beliebtheit erfreuen. Zu der Musikwelt dieser Zeit gehört auch die Gruppe the FIXX, deren größtes Erfolgsalbum „Reach the Beach“ in diesem Monat sein 40jährigstes Jubiläum feiert (Release-Datum: 13.05.1983).

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Die 1979 in England gegründete Band hatte bereits 1982 mit dem Album „Shuttered Room“ und den Hitsingles „Stand or Fall“ und „Red Skies“ einen ersten Achtungserfolg, als ihnen zwei Jahre später mit „Reach the Beach“ der Durchbruch in die amerikanischen Charts gelingen sollte. Die zehn anspruchsvollen Songs darauf zeichneten sich durch Klangfarbe, Vielseitigkeit und gute Texte aus. Die daraus ausgekoppelte Single „One Thing Leads to Another“ sollte mit Position Nr. 4 in den amerikanischen Charts der erfolgreichste Hit der Band werden.

Das Album selbst heimste Platinstatus ein. Ein wesentlicher Teil dieses Erfolges dürfte Rupert Hines (1947 – 2020), dem genialen Produzenten aus England, zuzuschreiben sein, der auch für andere Interpreten wie Chris de Burgh, Tina Turner und Stevie Nicks arbeitete. The FIXX wurden auch für andere interessant; für The Police wurden sie Tour-Support, Tina Turner nahm sie als Konzertband in Anspruch.

Der kommerzielle Erfolg ließ in den nachfolgenden Jahren deutlich nach, obwohl der kreative Output in den Alben „Phantoms“ (1985) und vor allem „Walkabout“ (1986) noch einmal neue Höhen erklomm. Letzteres Album hätte es durchaus verdient, auch in die offiziellen Rankings der besten Produktionen des Jahrzehnts gezählt zu werden. Zu dem Kultfilm „Straßen in Flammen“ (1984) steuerten sie mit „Deeper and Deeper“ eines der stärksten Stücke zum Soundtrack bei. Es bleibt auch rätselhaft, warum der Erfolg der Band weitgehend nur auf die USA und Kanada beschränkt blieb und nicht einmal einen Nachhall in der englischen Heimat erzeugte. Dennoch, „Reach the Beach“ sollte die Grundlage dafür bilden, daß the FIXX bis heute mit einer treuen Fangemeinde aktiv sind. Zwar boten die FIXX-Produktionen nach 1991 bis 2003 nichts Aufregendes, das der Erwähnung wert wäre. Doch 2012 kam mit „Beautiful Friction“ ein Album heraus, das technisch, konzeptionell und künstlerisch an die besten Zeiten der Band anknüpfte. Auch das aufwendig gedrehte Video zu der Single-Auskopplung „Anyone Else“ konnte sich im besten Sinne sehen lassen, als eine Art Reminiszenz auf den Musiksender MTV, der dieses Format als neue Kunstform populär machte.

Vier Jahre später erhielt der Berichterstatter auf die an den Facebook-Account der Band gerichtete Frage, wann es denn ein neues Album gebe, noch die kryptische Antwort: „When you least expect it – Wenn du es am wenigsten erwartest“. Die Geduld für vier weitere Jahre hat sich indes gelohnt. Denn mit „Every Five Seconds“ kam 2022 ein Werk, welches das Niveau seines Vorgängers halten konnte.

Die Musikwelt der 1980er Jahre sah viele Erfolgsgeschichten, die nicht von Dauer waren, wie ein Meteor eine helle Leuchtspur erzeugten und doch schnell verglühten. Doch immerhin, einige kamen mit einem Nachhall, der bis heute wirksam ist. Die zähe Lebendigkeit von the FIXX zeigt sich nicht allein in der kontinuierlichen Besetzung der Band, deren harter Kern um Sänger Cy Curnin, ergänzt um Rupert Greenall (Keyboards), Jamie West-Oram (Gitarre), Dan K. Brown (Bass) und Adam Woods (Drums) bis heute weitgehend stabil geblieben ist. Auch geht die Band nach wie vor in den USA auf Tour.

Liveauftritte in Europa, gar in Deutschland, befinden sich nicht mehr in der Planung. Hier muß man von ihrem legendären Auftritt im Rockpalast (1985) auf Youtube zehren oder von dem im der Frankfurter Batschkapp, der das Live-Album „Real Time Stood Still“ (1997) zur Folge hatte. Immerhin, sie kamen im Dezember 1990 sogar zu einem Konzert nach Kassel, in das „Musik-Theater“, das inzwischen Geschichte ist. Dem Urteil des HNA-Kritikers Ralph-Michael Krum (heute Bandleader der NEW PONY), wonach die Band einen im Großen und Ganzen überzeugenden Auftritt absolviert habe, kann der Berichterstatter, der noch beste Erinnerungen an diesen Abend hat, sich nur anschließen. Aber wer weiß, vielleicht kommen sie wieder nach Deutschland, möglicherweise sogar nach Kassel – dann, wenn man es am wenigsten erwartet…?

The FIXX: Rupert Grenall, Dan K. Brown, Cy Curnin, Adam Woods, Jamie West-Oram (von li.; Quelle: Facebook)
the FIXX
REACH THE BEACH
MCA RECORDS
1983

Das Feuer brennt nicht mehr

I can see a new horizon underneath the blazin‘ sky
I’ll be where the eagle’s flying higher and higher
Gonna be your man in motion, all I need’s this pair of wheels
Take me where my future’s lyin‘, St. Elmo’s fire

I can climb the highest mountain, cross the wildest sea
I can feel St. Elmo’s fire burnin‘ in me, burnin‘ in me
(Refrain aus „St. Elmo’s Fire“ / John Parr)

Am 7. September 1985 erreichte John Parr mit „St. Elmo’s Fire (Man in Motion)“ die Spitze der Billboard Hot 100, der amerikanischen Hitparade. Der Rock-Song sollte von hier aus in einem Siegeszug die Charts auf der ganzen Welt stürmen.

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„St. Elmo’s Fire“ ist der Titelsong des Soundtracks für einen der erfolgreichsten Hollywood-Filme der 1980er Jahre, den gleichnamigen „St. Elmo’s Fire – Die Leidenschaft brennt tief“. Der Film war beispielhaft für ein ganzes Genre dieser Zeit, deren Schauspielerensemble – dem Brat Pack – es zu einem kurzzeitigen Höhenflug verhalf. Im Mittelpunkt dieser Filme standen die Probleme von Heranwachsenden und jungen Menschen über Identität und das Übernehmen von Verantwortung. Mit ihnen verbunden sind Namen von Schauspielern wie Emilio Estevez (ein Sohn von Hollywood-Legende Martin Sheen), Rob Lowe oder Andrew McCarthy. Lediglich Demi Moore konnte auch in den folgenden Jahrzehnten mit Produktionen wie „Stiptease“, „Die Akte Jane“ und „Enthüllung“ ihre Karriere auf hohen Erfolgsniveau fortsetzen.

Parr schrieb den Titelsong gemeinsam mit dem musikalischen Direktor des Films, Robert Foster, dem inzwischen eine Vielzahl von Grammys verliehen worden sind. Foster wurde auf Parr aufmerksam durch seinen Song „Naughty Naughty“, einem ersten Achtungserfolg Parrs in den amerikanischen Charts. „St. Elmo’s Fire“ – das Elmsfeuer – ist eine in hohen Lagen auftretende, durch elektrische Entladungen hervorgerufene Lichterscheinung, bei deren Auftauchen auf dem Meer an dem Masten ihrer Schiffe die Seeleute ihren Schutzpatron, den Heiligen Erasmus von Antiochia, anriefen.

Die Melodie des mitreißenden Ohrwurms und der vielleicht naive, aber doch sympathische Pathos des Textes vermitteln einen ansteckenden Optimismus, der am deutlichsten in seinem Refrain zum Ausdruck kommt. Ein kraftvoll-bombastischer Rock-Song wie eine Hymne für ein ganzes Jahrzehnt- wenn es ein Hit geschafft hat, sich in die musikalische Signatur der 1980er Jahre einzuprägen, dann „St. Elmo’s Fire“ von John Parr.

Die Entwicklung und Produktion des Songs im Studio umfasste gerade einmal drei Tage, noch dazu unter dem Druck der Plattenfirma durch eine äußerst knappe Terminvorgabe. Die Inspiration für das Thema des Songs brachten schließlich die Aufnahmen von Rick Hansen, einem querschnittgelähmten Behindertensportler aus Kanada, der durch seine Man In Motion World Tour im Rollstuhl Spenden einsammelte für die Behandlung von Rückenmarksverletzungen.

Es ist schwer auszumachen, was sich im Wechsel von der Jugendkultur von den 1980ern zu den 1990er geändert hat, als der verspielte und teilweise auch anspruchsvoll Rock-Pop abgelöst wurde vom Grunge, der mit der Band „Nirvana“ seinen Durchbruch feierte. In „Smells Like Teen Spirit“ schrie ihr Frontmann Kurt Cobain seine depressiven, selbstzerstörerischen Gefühle geradezu heraus und fand damit unter seinem jugendlichen Publikum offenbar einen fruchtbaren Boden. Und so sollte es kaum verwundern, daß der mit Drogenproblemen kämpfende Cobain bereits 1994 mit einem Kopfschuß seinem Leben ein tragisches Ende setzte.

Und auch für Filme wie „St. Elmo’s Fire“ dürften sich heute kaum noch Produzenten in Hollywood finden. Zu weiß, zu sehr in der oberen Mittelklasse verankert wie ihre Protagonisten waren, dürfte dieser Stoff sofort durch das Raster des postmodernen Hollywoke fallen, das sich festgelegt hat auf „Diversity“ in allen Facetten und Abgründen, für eine Jugend, deren Problem weniger darin zu bestehen scheint, welchen Platz sie im Leben einnehmen will, als vielmehr der Frage widmet, ob es Männlein, Weiblein oder Teekanne sein will. Das positiv-kreative Feuer der Popkultur der 1980er Jahre, es brennt nicht mehr, nicht einmal auf kleinster Flamme.

Leider konnte Parr aus seinem Hit keine Zugkraft für seine weitere Musikerkarriere entwickeln.; der Interpret des „St. Elmo’s Fire“ erwies sich als „One-Hit-Wonder“, für den es der einzige Erfolg bleiben sollte. Dabei hat es Parr nie an Talent und gutem Material fürs Songwriting gefehlt. Seine Alben „John Parr“ (1984), „Running The Endless Mile“ (1986) oder „Man With A Vision“ (1992) enthalten erstklassig produzierte Rockmusik, bei der man sich nur wundern kann, da sie nie den Weg in vordere Chartpositionen fanden. Und auch seine Fähigkeiten als Live-Performer stehen außer Frage, wie das leider nur als Download erhältliche Live-Album „Letter To America“ (2011) unter Beweis stellt. Ohne Zweifel, John Parr wäre mehr Erfolg zu wünschen gewesen.

(Quelle: Facebook)

Immerhin wurde er zum Song-Produzenten für andere Musiker, wie beispielsweise Roger Daltrey, dem Sänger von „The Who“, dem er mit „Under A Raging Moon“ – eine Hommage an den 1978 verstorbenen Who-Schlagzeuger Keith Moon – den Titelsong und eines der besten Stücke für dessen Soloalbum von 1985 lieferte. Ebenso war er mitbeteiligt an dem Album „Bad Attitude“ seines Freundes Meat Loaf. 1986 traten beide zu dem Titel „Rock ’n‘ Roll Mercenaries“ im Duett auf.

Doch am erstaunlichsten ist, wer den Westküsten-Rock und die Auftritte Parrs mit seiner mit dem Sternenbanner dekorierten Gitarre betrachtet, wird kaum auf die Idee kommen, hier jemand anderen als einen waschechten Amerikaner vor sich zu haben. Parr ist Brite und damit vermutlich der amerikanischste Rockmusiker, den sein Land bislang hervorbracht hat, auch wenn er für Auftritte in seiner Heimat seine Gitarre mit dem Union Jack auspackt.

Geboren am 18. November 1952 in Worksop in der englischen Grafschaft Nottinghamshire nahe des Sherwood Forrest, feiert John Parr heute seinen 70. Geburtstag.

St. Elmo’s Fire – Music From The Original Motion Picture Soundtrack
von VARIOUS ARTISTS
(1985)
John Parr – John Parr (1984)
John Parr – Running The Endless Mile (1986)
John Parr – Man With A Vision (1992)
John Parr – Letter To America (2011)