Der Grieche Evangelos Odysseas Papathanassiou wurde unter seinem Künstlernamen Vangelis weltberühmt als Komponist für die Soundtracks so bedeutender Filme wie „Chariots of Fire“, „Blade Runner“ oder „1492 – Die Eroberung des Paradieses“. Am 17. Mai ist Vangelis im Alter von 79 Jahren in Paris verstorben. Aus diesem Anlaß hier ein Beitrag über diesen Pionier der Elektronischen Musik, den ich 2016 für die JUNGE FREIHEIT geschrieben habe.
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016
Walzer tanzen auf Tschuri
Kosmisches Zusammenspiel: Die ESA beendet ihre Weltraummission der Rosetta-Sonde / Zeitgleich veröffentlicht der Erfolgskomponist Vangelis seine gleichnamige Sinfonie
Daniel Körtel
Sie ist eine der spektakulärsten Missionen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA: die 2004 gestartete Raumsonde Rosetta zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko – Kurzform: „Tschuri“ –, auf dem im November 2014 die von ihr abgekoppelte Tochtersonde Philae landete. Drei Tage lieferte Philae Daten von dem eisigen Himmelskörper, dann brach wegen der nachlassenden Energieversorgung der Kontakt zu dem in einem Spalt festsitzenden Landemodul ab. Ein dauerhafter Kontakt konnte seitdem nicht mehr hergestellt werden.
Ein besonders aufmerksamer Beobachter der Mission war der Komponist Vangelis, auf den Astronomie und Weltraum seit jeher eine starke Faszination ausüben. Kurz vor dem geplanten Finale, wenn Rosetta aus seinem Orbit um „Tschuri“ in einem kontrollierten Sinkflug am 30. September auf die Oberfläche des Kometen treffen soll, veröffentlicht der Künstler in Kooperation mit der ESA mit der Sinfonie „Rosetta“ seine musikalischen Eindrücke dieses wissenschaftlichen Abenteuers.
In 13 Sätzen interpretiert Vangelis die einzelnen Phasen des kosmischen Zusammenspiels von Rosetta und „Tschuri“ und charakterisiert die einzelnen Protagonisten: ob von den ersten Takten an, die die Annäherung von Rosetta an den Kometen signalisieren, dem turbulenten „Philae’s Descent“, dem leichtfüßigen Walzer für Rosetta („Mission Accomplie“), der Dramatik im sonnennächsten Bahnpunkt des Kometen – dem „Perihelion“–, ein trauriges Klagelied für Rosettas Ende, bevor das geheimnisvolle „Return to the Void“ den Kometen mit seinen zwei verstummten Passagieren in die leeren Weiten des Alls verabschiedet – Gänsehautgefühle sind dem Zuhörer garantiert.
Doch wer ist der öffentlichkeitsscheue „Man of Mystery“ mit der ungeheuren physischen Präsenz und dem Rauschebart, der auf ein beachtliches künstlerisches Lebenswerk von mehr als fünfzig Jahren zurückblickt und dem zu Ehren passenderweise 1995 ein Asteroid benannt wurde? Vangelis wurde am 29. März 1943 in Velos an der griechischen Ostküste unter dem Namen Evangelos Odysseas Papathanassiou geboren. Bereits ab dem Alter von vier Jahren erwies er sich als ein musikalisches Wunderkind, das schon mit sechs Jahren vor großem Publikum seine eigenen Kompositionen vorstellte. Instinktiv entfaltete sich sein Naturtalent, das sich jedoch in keine Form pressen ließ.
Perfekte Symbiose von Film und Musik
In den sechziger Jahren machte er Griechenland mit der Popmusik vertraut. Dem Druck der griechischen Militärdiktatur ausweichend, ging Vangelis 1968 nach Frankreich, wo er gemeinsam mit seinem Landsmann Demis Roussos (1946–2015), dem späteren Schlagerstar, die Band Aphrodite’s Child gründete und mit Beat und Progressive Rock mit einem Schuß mediterranem Folk ersten internationalen Ruhm erntete. Kurz vor der Auflösung der Band 1972 setzte der Keyboarder mit seinen Kompositionen zu dem zum Kultalbum avancierten „666“ – eine epische Vertonung der Johannes-Apokalypse – neue Maßstäbe.
Der Erfolg von Aphrodite’s Child beförderte Vangelis in die glückliche Lage, losgelöst vom engen Korsett der Plattenfirmen, die Musik zu kreieren, die ihm gefiel. Das optimale Instrument seiner Wahl war der Synthesizer, ein noch junges Werkzeug. Es folgten erste Instrumentalkompositionen für Konzept-Alben und Filmmusiken für Natur-Dokumentationen. Die siebziger Jahre sind das Jahrzehnt der elektronischen Musik, und Vangelis avanciert neben Tangerine Dream und Jean-Michel Jarre zu einem ihrer bedeutendsten Vertreter.
Zum internationalen Durchbruch verhalf Vangelis das Musikstück „Chariots of Fire“ für das Sportlerdrama „Die Stunde des Siegers“. Unerwartet erhielt der Komponist 1982 den Oscar für die beste Filmmusik. Die Melodie ist bis heute ein weltweit populärer Dauerläufer, der immer wieder zu sportlichen Anlässen gespielt wird. Hier zeigte sich der Künstler als Pionier, dem die perfekte Symbiose von Film und Musik gelang. Mit seinen Synthesizern erweiterte er die Grenzen, die den klassischen Orchestern gesetzt waren, mit denen Hollywood bislang traditionell arbeitete. Diesen Stil führte er fort mit seiner Arbeit zu Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982), einem dystopischen Film noir, dessen düstere Atmosphäre Vangelis gelungen akzentuierte. Auch hier konnte der Soundtrack über cineastische Kreise hinaus bis heute eine außerordentliche Popularität entfalten.
Doch mit dem zunehmenden Erfolg ging Vangelis immer deutlicher auf Distanz zur kommerziellen Musik-industrie, der er die Etablierung einer Massenkultur auf Kosten der Qualität vorhielt und deren Produkte er mit akustischer Umweltverschmutzung verglich. Entsprechend hielt er sich mit der Veröffentlichung von Soundtracks für den Musikmarkt zurück und schlug viele Angebote aus, um nicht als „Fabrik für Filmmusiken“ zu verkümmern.
Und doch war es wieder ein Soundtrack, der seine vermutlich beste Leistung wurde und sogar „Chariots of Fire“ übertraf. 1992 komponierte er wieder in Zusammenarbeit mit Ridley Scott für dessen Kolumbus-Biographie „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ den Soundtrack, verwoben mit zahlreichen Einflüssen ethnischer Musik, eine Spezialität Vangelis’. Kurioserweise wurde der kommerzielle Erfolg des Soundtracks nachträglich drei Jahre später weit übertroffen, als der Boxweltmeister Henry Maske die Titelmelodie zu seiner Ring-Fanfare erwählte. Der Soundtrack stieg zum Millionenhit auf, der allein in Deutschland bis dahin von keinem anderen Titel übertroffen wurde!
Aus seinem Synthesizer zaubert der „griechische Tasten-Magier“ kontemplative Harmonien bis sakral-mystische Klangräume, die ganze Kathedralen ausfüllen können. Ihnen gemeinsam ist die elektronische Signatur, die stets auf ihren herausragenden Schöpfer verweist.
Kein Mensch kommt als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Hochbegabungen wie die von Vangelis werden in die Wiege gelegt und können von keinem noch so progressiven Bildungssystem herangezogen werden. „Große Musiker sind nicht groß, weil sie studieren. Sie sind groß, weil sie groß sind!“ – so die Begründung des Autodidakten und Freigeistes Vangelis, warum er bereits als Kind jede formale Musikausbildung ablehnte. Noten lesen und schreiben kann Vangelis bis heute nicht.
Und doch hat Vangelis der modernen Musikwelt seinen prägenden Stempel aufgesetzt. Oft wird er mit dem Maler El Greco (1541–1614) verglichen. Seitdem dieser seine kretische Heimat verließ, um im Ausland seine Schaffenskraft zu entfalten, hat kein Grieche einen solchen kulturellen Einfluß ausgeübt wie der Musiker Vangelis.
Vangelis Rosetta Decca (Universal Music), 20 16 www.universal-music.de