Der Planet, der die Menschen in den Wahnsinn treibt

„Also was ist das?“ fragte ich, nachdem ich ihn geduldig angehört hatte.
„Das, was wir gewollt haben: der Kontakt mit einer anderen Zivilisation. Da haben wir den Kontakt! Übersteigert, wie unter dem Mikroskop – unsere eigene monströse Häßlichkeit, unsere Albernheit und Schande!“ Ihm zitterte die Wut in der Stimme. („Solaris“, Stanislaw Lem)

Als Stanley Kubrick 1968 sein visionäres Scifi-Meisterwerk „2001: A Space Odyssey“ in die Kinos brachte, wurde der Film zur Inspiration und zum Vorbild nachfolgender Filmemacher. Sein Bruch mit den konventionellen Erzähltechniken, seine realistischen Darstellungsweisen und das Wagnis, das Publikum auch mit philosophischen Fragen herauszufordern setzten vollkommen neue Maßstäbe in der Filmproduktion. Ohne „2001“ wäre Star Wars nicht denkbar gewesen. Doch nicht nur in Hollywood, auch in der Sowjetunion begann man Kubrick nachzueifern. Dort gelang Regisseur Andrei Tarkowski (1932 – 1986) mit dem 1972 veröffentlichten Film „Solaris“ ein außergewöhnlicher Wurf.

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Screenshot „Solaris“: der denkende Ozean.

„Solaris“ geht auf die gleichnamige Romanvorlage des polnischen Scifi-Schriftstellers Stanislaw Lem (1921-2006) zurück, der damit 1961 seinen internationalen Durchbruch schaffte und so einen der wichtigsten Klassiker der Science-Fiction schuf. In seinem Mittelpunkt steht der Planet Solaris, der vollständig von einem Ozean aus einer gallertartigen Substanz bedeckt ist. Es scheint, als sei dieser Ozean ein denkendes Wesen, um das sich rätselhafte Dinge ereignen. Sämtliche Kommunikationsversuche seitens der Menschen scheitern. Die Mannschaft der Solaris umkreisenden Station ist von 85 auf zwei Mann geschrumpft. Die Solaris-Forschung steht nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit an einem Kipppunkt. Der Psychologe Kris Kelvin unternimmt den letzten Versuch der Erde, die Vorgänge auf dem Planeten aufzuklären.

Kelvin bietet sich ein deprimierendes Bild. Bei seinem Eintreffen steht kein Empfangskomitee bereit. Die Einrichtung der Station ist verwüstet. Übrig sind nur noch die Wissenschaftler Snaut und Sartorius. Kelvins Freund Gibarian hatte erst kürzlich Suizid begangen. Kryptisch bereitet Snaut den Neuankömmling auf die Ankunft von „Gästen“ vor. Und genau so ergeht es Kelvin: Am nächsten Morgen findet er in seinem Zimmer seine Ehefrau Hari vor. Doch Hari ist längst tot, gestorben durch Suizid. Und auch diese Hari weist an ihrem Arm die Einstichstelle der tödlichen Injektion auf. Etwas geht auf der Station vor, daß sich der Erkenntnisfähigkeit des Menschen entzieht. Sieht so der Erstkontakt zu einer außerirdischen Intelligenz aus?

Screenshot „Solaris“

Der vollkommen fassungslose Kelvin lockt Hari 2 in eine Kapsel, um sie von der Station zu entfernen. Doch am nächsten Morgen steht sie nach dem Erwachen wieder vor ihm. Es scheint, als kommuniziere der Ozean auf eine besondere Weise mit den Stationsangehörigen, indem er in ihrem Schlaf ihre Psyche scannt und daraus die Menschen bildet, die darin am stärksten verankert sind. Hari 2 erweist sich, wie die „Gäste“ der anderen, als extrem anhänglich. Sie bluten, doch scheinen sie unzerstörbar. Der Suizidversuch von Hari 2 durch die Einnahme von Flüssigsauerstoff schlägt fehl, die Regeneration ihres Körpers setzt sofort ein. Ihre Existenz ist jedoch an die unmittelbare Nähe zu Solaris gebunden.

Screenshot „Solaris“: Hari (Natalja Bondartschuk) und Kris Kelvin (Donatas Banionis)

In ihren Empfindungen und ihrem Wesen scheint Hari 2 mit ihrem Vorbild identisch zu sein. Macht sie das menschlich wie das Original? Für Kelvin beginnt eine qualvolle Auseinandersetzung mit seiner von Schuldgefühlen behafteten Vergangenheit und seiner Beziehung zu Hari.

Tarkowski inszenierte „Solaris“ unspektakulär, ohne großartige Effekte, als ein rund dreistündiges pessimistisches Epos. Viele Szenen spielen sich auf der Erde ab. Seine Hauptdarsteller Donatas Banionis als der seelisch gebrochene Psychologe Kelvin und Natalja Bondartschuk als seine depressive Ehefrau Hari ergeben in ihrer komplex-tragischen Beziehung ein hervorragendes Duo.

Screenshot „Solaris“: Hari (Natalja Bondartschuk) und Kris Kelvin (Donatas Banionis)

So wie in seiner literarischen Vorlage, so ist auch in dieser Verfilmung nicht viel Platz für das ideologische Fortschrittskonzept des sowjetischen Systems. Umso erstaunlicher, daß „Solaris“ überhaupt in den Verleih kam und sogar als sowjetischer Beitrag bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes vorgestellt wurde, wo er einen Spezialpreis erhielt. Das Heyne-Kompendium „Der Science Fiction Film“ (1983) verband sein Lob mit dem Bedauern: „Leider ist ein derart intellektueller SF-Film wie Solaris ein Ausnahmefall für das fast ausschließlich angloamerikanisch geprägte Genre.“

Gleichwohl zerstritt sich Lem schon während der Dreharbeiten mit Tarkowski, weil der ihm den Schwerpunkt zu sehr auf die Beziehung Kelvin-Hari gelegt hätte. Für Tarkowski selbst, einem der bedeutendsten Filmemacher der Sowjetunion, wurde „Solaris“ zu einem Meilenstein seiner Laufbahn. 1979 schloss sich unter seiner Regie mit „Stalker“ eine weitere dystopische Verfilmung eines Scifi-Romans an. „Solaris“ selbst wiederum erfuhr 2002 eine weitere Verfilmung, dieses Mal mit George Clooney in der Hauptrolle.

Im vergangenen Februar erschien eine neue, digital überarbeitete Fassung von „Solaris“ auf DVD und Blu-ray. Im Bonus enthalten sind ein Audiokommentar des Filmwissenschaftlers Dr. Rolf Gießen und ein rund halbstündiger Beitrag von Dr. Michael Rosenhahn über „Solaris als Grundfrage der Philosophie“, als die Widerspiegelung des Streits um die Konzepte von Idealismus und Materialismus. Es steckt mehr in „Solaris“ als nur ein menschliches Beziehungsdrama.

YT-Trailer „Solaris“

 

SOLARIS
Special Restored Edition (Filmjuwelen / DEFA Science Fiction)

UdSSR, 1972
2 h: 40 min
Auf DVD und Blu-ray