Gefährdet und gefährlich: das Buch

Nur vier Jahre nach George Orwells „1984“ erschien 1953 ein Roman, der es gleichfalls zu einer Spitzenstellung im Genre der dystopischen Literatur schaffte. Es war gleich der erste Roman des noch jungen amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury (1920 – 2012), der zum Grundstein seiner literarischen Karriere wurde: „Fahrenheit 451“. Bradbury schuf dieses Werk auf dem Höhepunkt seiner fruchtbarsten Periode von 1946 bis 1955 und wurde damit zum Popularisierer der Science-Fiction.

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Der Titel „Fahrenheit 451“ bezieht sich auf die im angloamerikanischen Maßsystem angegebene Temperatur, bei der Buchpapier zu brennen beginnt (im in Deutschland üblichen SI-System 233 Grad Celsius). Und hierin findet man einen der seltenen Fälle, in denen Buchtitel und -inhalt eine geradezu perfekte Konvergenz erreichen. Bradbury entwirft darin eine Zukunft, in der der Besitz von Büchern unter schwere Strafe gestellt ist. An die Stelle der Literatur ist das Fernsehen getreten. Die Menschen lassen sich von wandgroßen Bildschirmen mit geisttötenden Soap Operas berieseln. Die als „Glück“ empfundene Sedierung und Entmündigung der Gesellschaft ist eine selbstgewählte. Das Verwunderliche ist: Für ihre Durchsetzung ist kein allesumfassender Terrorstaat nötig; Verfassung und Demokratie sind nach wie vor formell in Kraft – allerdings ohne Opposition.

Eine Besonderheit ist die Eliminierung unerwünschter Literatur. Publikationen beschränken sich auf Unverzichtbares, wie Bedienungsanleitungen oder ausgewählte Fachliteratur in Kurzform. Belletristik, philosophische oder politische Literatur, die die ganze Bandbreite menschlichen Denkens abbilden, gelten als gefährlich und werden gezielt vernichtet:

„Wir müssen alle gleich sein. Nicht gleich und frei geboren, wie es in der Verfassung steht, sondern gleich gemacht. Jeder ein Abbild aller anderen; dann sind alle glücklich, denn es gibt keine Berge, vor denen sie sich ducken, an denen sie sich messen müssten. Also! Ein Buch ist eine geladene Waffe im Nachbarhaus. Verbrennen Sie es. Nehmen Sie die Kugel aus der Waffe. Brechen Sie den Verstand des anderen. Wer weiß, wer das Ziel eines belesenen Mannes ist?“

Für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Buchverbotes sorgt eine Spezialeinheit, deren Aufgabe ursprünglich eine ganz andere war: die Feuermänner. Zusätzliche Repressionsorgane scheinen zur Absicherung des Systems angesichts des künstlich aufrechterhaltenen, desolaten geistigen Zustands der Massen kaum erforderlich zu sein.

Einst waren die Feuermänner das, was wir heute als Feuerwehrmänner kennen, also Spezialisten zur Verhütung und Bekämpfung von Bränden. Doch in Bradburys dystopischer Zukunft, wo die Häuser durch einen speziellen Überzug feuerfest geworden sind, verkehrt sich ihre Aufgabe in das Gegenteil: sie legen Brände, und zwar an Bücher, vorsorglich egal an welche. Erhalten sie hiervon Kenntnis, rücken sie so wie ihre Kollegen aus der Vorzeit in ihren Einsatzfahrzeugen aus. Doch kommt aus ihren Schläuchen nicht Wasser, sondern Kerosin. Es ist diese leicht brennbare Flüssigkeit, mit der die Bücher in Brand gesetzt werden.

Einer dieser Feuermänner ist Guy Montag. Nach außen gibt er sich angepasst, doch innerlich regen sich erste leichte Zweifel. Heimlich hortet er zuhause aus seinen Einsätzen abgezweigte Bücher. Er will wissen, wie gefährlich sie sind. Der Kontakt zu der jungen Außenseiterin Clarisse, die so anders ist als Montags im System von geförderten Drogen und seichter Dauerberieselung aus dem Fernsehen abgestumpfte Gattin Mildred, verstärkt seine Zweifel und seine Verwirrung, indem sie ihm nur eine scheinbar banale Frage stellt: „Sind Sie glücklich?“

Ein dramatisch verlaufender Einsatz wird zum Kipppunkt. Es ist die Besitzerin der Bücher selbst, die vor Montags Augen inmitten ihrer kerosingetränkten Werke das Feuer selbst entzündet und mit ihnen verbrennt. Auch der väterlich klingende Zuspruch seines Dienstvorgesetzten Beatty kann ihn nicht mehr in der Spur des sozial erwünschten Verhaltens halten. Aus dem Zweifler wird der Rebell.

Montags Bücherversteck fliegt durch die allgegenwärtige Überwachung auf. Doch statt tatenlos ihrer Verbrennung zuzusehen, richtet er den Kerosinbrenner auf Beatty und verbrennt ihn. Montags Flucht mit der Unterstützung des früheren Literaturprofessors Faber wird zum Höhepunkt der live übertragenen Abendunterhaltung im Fernsehen, die als eine Art Fuchsjagd inszeniert wird. Doch seine Flucht glückt. In der Wildnis außerhalb der Stadt trifft er ausgerechnet auf eine Gruppe Waldgänger, denen eines gemeinsam ist: Mittels einer speziellen Memoriertechnik bewahren sie in ihren Köpfen den Inhalt jeweils eines Buches wortwörtlich auf und bewahren sie so vor dem Vergessen.

Bradburys „Fahrenheit 451“ wird allgemein als Parabel auf die Zeit des McCarthyismus interpretiert, als der amerikanische Senator Joseph McCarthy (1908 – 1957) zum Wortführer einer Bewegung wurde, die vermeintliche Kommunisten und kommunistische Verschwörer im Staatsapparat zu enttarnen suchte. Im aufkommenden Kalten Krieg mit der Sowjetunion entstand in den USA ein Klima politischer Paranoia mit Denunziation und Spitzelwesen, in welchem die Tribunale des „Komitees für unamerikanische Umtriebe“ zu Hexenjagden gerieten, in denen zahlreiche Existenzen vernichtet wurden. Das Fernsehen, das damals in seiner Verbreitung seinen ersten Siegeszug durchlief, beförderte McCarthys Machenschaften in so gut wie jeden amerikanischen Haushalt. Auch kam es zu Aussonderungen und Verbrennungen unliebsamer Literatur.

Doch es wäre ein Fehler, „Fahrenheit 451“ eine ausschließliche Zeitgebundenheit zuzusprechen. Bücherverbrennungen gab und gibt es zu allen Zeiten. In Bradburys Meisterwerk finden sich zahlreiche Stellen, die bei gewissen Vorkommnissen unserer Zeit ein geradezu visionäres Vorbild darstellen. Da ist die Kritik an der die Sinne betäubenden Massenkultur und der Formierung einer kollektive Zwänge ausübenden Massengesellschaft, die weder dem kritischen Individuum noch dem eigenständigen Geist einen Platz einräumen will. Bücherverbrennungen sind heutzutage zwar nur Ausnahmeerscheinungen, doch werden immer mehr Bücher Restriktionen unterworfen oder aus politischen Gründen vom Mainstream ferngehalten.

Selbst Klassiker erhalten Triggerwarnungen, Neuerscheinungen werden vorab von „Sensitivity Readern“ im Auftrag von Verlagen darauf geprüft, ob sie anstößige und verletzende Inhalte enthalten. Die Autorenfreiheit und die Freiheit des Lesers bleiben auf der Strecke. Autoren, die gegen den Zeitgeist verstoßen, werden gar aus ihrem Verlag geworfen, so wie es Thilo Sarrazin und Monika Maron erging. Die Verlage selbst unterwerfen sich den Vorgaben der political correctness, so daß kritische und herausfordernde Literatur kaum in gedruckter Form zum Leser findet. Es entsteht ein Verhinderungskartell vom Feuilleton der Mainstreampresse über den ÖRR bis zu den Verlagen, Buchhändlern und Buchhandelsketten.

Einer der bisherigen Tiefpunkte war 2017 die nachträgliche Aussonderung von Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“ sowohl aus der Liste der „Sachbücher des Monats“ wie auch aus der Spiegel-Bestsellerliste. Daß diese konzertierte Aktion des sogenannten Kulturbetriebs zum Rohrkrepierer wurde, beruhigt keineswegs.

Und nur auf den ersten Blick verwunderlich war eine Meldung aus 2022, wonach die Universität Northampton ausgerechnet George Orwells „1984“ mit einem Warnhinweis versah. Vordergründig erfolgte diese Warnung aufgrund der die Studenten als „beleidigend und verstörend“ empfundenen Inhalte, doch kann man darin durchaus auch jenen von Bradbury beschriebenen Vorgang wiederfinden:

„Die Farbigen mögen Der kleine schwarze Sambo nicht. Verbrennen wir es. Die Weißen haben bei Onkel Toms Hütte kein gutes Gefühl. Verbrennen wir es. Jemand hat ein Buch über Tabak und Lungenkrebs geschrieben? Die Zigarettenindustrie wehklagt? Weg damit. Gleichmut, Montag. Frieden, Montag.“

Wenn uns Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ eines lehrt, dann das: Literatur, das Buch an sich, ist stets eine bedrohte Art. Für seine Gefährdung braucht es keinen totalitären Machtstaat. Es reicht dazu eine gleichgültige Masse, die die verfügte Entmündigung durch die den Zeitgeist bestimmenden Kräfte, glücklich hinnimmt, wobei jene vorschreiben, was man zu lesen hat.

Ray Bradbury
Fahrenheit 451
272 Seiten, 2020
Diogenes
25,- Euro

Der Planet, der die Menschen in den Wahnsinn treibt

„Also was ist das?“ fragte ich, nachdem ich ihn geduldig angehört hatte.
„Das, was wir gewollt haben: der Kontakt mit einer anderen Zivilisation. Da haben wir den Kontakt! Übersteigert, wie unter dem Mikroskop – unsere eigene monströse Häßlichkeit, unsere Albernheit und Schande!“ Ihm zitterte die Wut in der Stimme. („Solaris“, Stanislaw Lem)

Als Stanley Kubrick 1968 sein visionäres Scifi-Meisterwerk „2001: A Space Odyssey“ in die Kinos brachte, wurde der Film zur Inspiration und zum Vorbild nachfolgender Filmemacher. Sein Bruch mit den konventionellen Erzähltechniken, seine realistischen Darstellungsweisen und das Wagnis, das Publikum auch mit philosophischen Fragen herauszufordern setzten vollkommen neue Maßstäbe in der Filmproduktion. Ohne „2001“ wäre Star Wars nicht denkbar gewesen. Doch nicht nur in Hollywood, auch in der Sowjetunion begann man Kubrick nachzueifern. Dort gelang Regisseur Andrei Tarkowski (1932 – 1986) mit dem 1972 veröffentlichten Film „Solaris“ ein außergewöhnlicher Wurf.

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Screenshot „Solaris“: der denkende Ozean.

„Solaris“ geht auf die gleichnamige Romanvorlage des polnischen Scifi-Schriftstellers Stanislaw Lem (1921-2006) zurück, der damit 1961 seinen internationalen Durchbruch schaffte und so einen der wichtigsten Klassiker der Science-Fiction schuf. In seinem Mittelpunkt steht der Planet Solaris, der vollständig von einem Ozean aus einer gallertartigen Substanz bedeckt ist. Es scheint, als sei dieser Ozean ein denkendes Wesen, um das sich rätselhafte Dinge ereignen. Sämtliche Kommunikationsversuche seitens der Menschen scheitern. Die Mannschaft der Solaris umkreisenden Station ist von 85 auf zwei Mann geschrumpft. Die Solaris-Forschung steht nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit an einem Kipppunkt. Der Psychologe Kris Kelvin unternimmt den letzten Versuch der Erde, die Vorgänge auf dem Planeten aufzuklären.

Kelvin bietet sich ein deprimierendes Bild. Bei seinem Eintreffen steht kein Empfangskomitee bereit. Die Einrichtung der Station ist verwüstet. Übrig sind nur noch die Wissenschaftler Snaut und Sartorius. Kelvins Freund Gibarian hatte erst kürzlich Suizid begangen. Kryptisch bereitet Snaut den Neuankömmling auf die Ankunft von „Gästen“ vor. Und genau so ergeht es Kelvin: Am nächsten Morgen findet er in seinem Zimmer seine Ehefrau Hari vor. Doch Hari ist längst tot, gestorben durch Suizid. Und auch diese Hari weist an ihrem Arm die Einstichstelle der tödlichen Injektion auf. Etwas geht auf der Station vor, daß sich der Erkenntnisfähigkeit des Menschen entzieht. Sieht so der Erstkontakt zu einer außerirdischen Intelligenz aus?

Screenshot „Solaris“

Der vollkommen fassungslose Kelvin lockt Hari 2 in eine Kapsel, um sie von der Station zu entfernen. Doch am nächsten Morgen steht sie nach dem Erwachen wieder vor ihm. Es scheint, als kommuniziere der Ozean auf eine besondere Weise mit den Stationsangehörigen, indem er in ihrem Schlaf ihre Psyche scannt und daraus die Menschen bildet, die darin am stärksten verankert sind. Hari 2 erweist sich, wie die „Gäste“ der anderen, als extrem anhänglich. Sie bluten, doch scheinen sie unzerstörbar. Der Suizidversuch von Hari 2 durch die Einnahme von Flüssigsauerstoff schlägt fehl, die Regeneration ihres Körpers setzt sofort ein. Ihre Existenz ist jedoch an die unmittelbare Nähe zu Solaris gebunden.

Screenshot „Solaris“: Hari (Natalja Bondartschuk) und Kris Kelvin (Donatas Banionis)

In ihren Empfindungen und ihrem Wesen scheint Hari 2 mit ihrem Vorbild identisch zu sein. Macht sie das menschlich wie das Original? Für Kelvin beginnt eine qualvolle Auseinandersetzung mit seiner von Schuldgefühlen behafteten Vergangenheit und seiner Beziehung zu Hari.

Tarkowski inszenierte „Solaris“ unspektakulär, ohne großartige Effekte, als ein rund dreistündiges pessimistisches Epos. Viele Szenen spielen sich auf der Erde ab. Seine Hauptdarsteller Donatas Banionis als der seelisch gebrochene Psychologe Kelvin und Natalja Bondartschuk als seine depressive Ehefrau Hari ergeben in ihrer komplex-tragischen Beziehung ein hervorragendes Duo.

Screenshot „Solaris“: Hari (Natalja Bondartschuk) und Kris Kelvin (Donatas Banionis)

So wie in seiner literarischen Vorlage, so ist auch in dieser Verfilmung nicht viel Platz für das ideologische Fortschrittskonzept des sowjetischen Systems. Umso erstaunlicher, daß „Solaris“ überhaupt in den Verleih kam und sogar als sowjetischer Beitrag bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes vorgestellt wurde, wo er einen Spezialpreis erhielt. Das Heyne-Kompendium „Der Science Fiction Film“ (1983) verband sein Lob mit dem Bedauern: „Leider ist ein derart intellektueller SF-Film wie Solaris ein Ausnahmefall für das fast ausschließlich angloamerikanisch geprägte Genre.“

Gleichwohl zerstritt sich Lem schon während der Dreharbeiten mit Tarkowski, weil der ihm den Schwerpunkt zu sehr auf die Beziehung Kelvin-Hari gelegt hätte. Für Tarkowski selbst, einem der bedeutendsten Filmemacher der Sowjetunion, wurde „Solaris“ zu einem Meilenstein seiner Laufbahn. 1979 schloss sich unter seiner Regie mit „Stalker“ eine weitere dystopische Verfilmung eines Scifi-Romans an. „Solaris“ selbst wiederum erfuhr 2002 eine weitere Verfilmung, dieses Mal mit George Clooney in der Hauptrolle.

Im vergangenen Februar erschien eine neue, digital überarbeitete Fassung von „Solaris“ auf DVD und Blu-ray. Im Bonus enthalten sind ein Audiokommentar des Filmwissenschaftlers Dr. Rolf Gießen und ein rund halbstündiger Beitrag von Dr. Michael Rosenhahn über „Solaris als Grundfrage der Philosophie“, als die Widerspiegelung des Streits um die Konzepte von Idealismus und Materialismus. Es steckt mehr in „Solaris“ als nur ein menschliches Beziehungsdrama.

YT-Trailer „Solaris“

 

SOLARIS
Special Restored Edition (Filmjuwelen / DEFA Science Fiction)

UdSSR, 1972
2 h: 40 min
Auf DVD und Blu-ray

Es braut sich was zusammen über Montana

Dean Koontz gehört zu den erfolgreichsten Autoren phantastischer Literatur aus den USA. 1945 in Everett, Pennsylvania geboren, betätigt er sich seit Ende der 1960er Jahre als freier Autor, zuerst noch unter verschiedenen Pseudonymen, seit den 1980ern durchgehend unter seinem eigenen Namen. Wikipedia beziffert seine Auflage verkaufter Bücher auf die enorme Zahl von 500 Millionen Exemplaren. Einer seiner letzten auf Deutsch veröffentlichten Romane ist der Mystery-Thriller „Der dunkle Himmel“ aus dem vorigen Jahr.

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Merkwürdige Dinge gehen darin vor sich. Scheinbar außer Kontrolle geratene Killersatelliten falten ganze Häuser zusammen. Tiere verhalten sich sonderbar. Und aus dem Fernseher und dem Telefon sprechen die Toten zu ihren Angehörigen. Eine davon ist die junge Schriftstellerin Joanna „Jojo“ Chase, deren längst verstorbene Mutter die mysteriösen Worte zu ihr spricht: „Ich bin an einem dunklen Ort, Jojo. Bitte komm und hilf mir.“

Der Ausgangspunkt all dieser Vorfälle deutet auf eine alte Ranch im US-Bundesstaat Montana hin, dem früheren Zuhause in Jojos Kindheit, bevor ihre Mutter und ihr Vater kurz hintereinander auf tragische, beziehungsweise grausige Art ums Leben kamen. Dort, an einem einsamen See, scheint es alles andere als wildromantisch zuzugehen, so wie es dem Klischee von Montana entsprechen müßte. Doch wer steckt hinter all diesen merkwürdigen Ereignissen? Ist es der sadistische Serienkiller Asher Optime, der in einer Geisterstadt in der Nähe gerade zwei seiner Opfer quält und davon träumt, die in seinen Augen parasitäre Menschheit zur Gänze von der Erde zu tilgen? Oder ist es sein Spiritus Rektor, der Sektenführer Xanthus Toller? Und was weiß der mißgestaltete Jimmy, Jojos Freund aus Kindheitstagen? Oder ist in Wahrheit eine viel größere Kraft am Wirken, die seit sehr langer Zeit aus dem Verborgenen heraus die Menschen beobachtet und dabei ist, ihr unerbittliches Urteil über sie zu fällen? Der in den Diensten der US-Regierung im Geheimen agierende Tech-Milliardär Gesh Patel versucht die Fäden, die alles miteinander verbinden, aufzudecken.

Koontz Plot bietet durchaus Spannung, weist aber auch Schwächen auf. Einige Wendungen kommen allzu glatt und plump daher. Und das größte Manko sind zu viele parallele Erzählstränge, die erst am Ende des 474 Seiten umfassenden Romans im Finale einer sturmumtosten Nacht unter einem wahrhaft „dunklen Himmel“ zusammenlaufen. Das Ganze noch versehen mit einem pseudowissenschaftlichen Anstrich über „Synchronizität“, ein auf den Psychoanalytiker C.G. Jung zurückgehender Begriff über „zeitlich korrelierende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind (die also akausal sind), jedoch als miteinander verbunden, aufeinander bezogen wahrgenommen und gedeutet werden. (Wikipedia)“

Koontz erreicht leider nicht das Niveau eines Sebastian Fitzek oder Andreas Eschbach, die es immer wieder schaffen, jedes Kapitel mit einem Cliffhanger zu beenden, der die Lust auf den Rest der Geschichte antreibt. Bei Koontz bleibt es in zu oft vorhersehbaren Bahnen, die gleichwohl für Fans des Genres durchaus unterhaltsam sein können.

Dean Koontz
Der dunkle Himmel
480 Seiten, 2024
Festa Verlag
16,99 EUR

Ein neuer Adam

Der Vormarsch der Ökologiebewegung und ihres politischen Arms, den Grünen, hat auch auf dem Feld der Ernährung zu einem Kulturkrieg geführt. Deutlich wurde es zuletzt mit der Anordnung aus dem von dem Grünen Cem Özdemir geführten Bundesministeriums für Ernährung, bei offiziellen Empfängen nur noch vegetarische Gerichte aus ökologischem Anbau zu servieren. WELT ONLINE titelte: „Der Kampf um den Speiseplan wird wie ein Religionskrieg geführt“. Der Veggieday, also der eine Tag in der Woche, an dem in Kantinen nur fleischlose Ernährung angeboten werden soll, ist aus Gründen des Natur- und Tierschutzes das angestrebte Ziel und wie bei solchen Bewegungen üblich, wird es dabei kaum bleiben.

Der Kampf um die Ernährung ist so alt wie die Ökologiebewegung selbst, die – angelegt in der Gegenkultur der 1960er Jahre – ihren Aufschwung in den 1970er Jahren nahm. Entscheidende Pushs erhielt sie unter anderem durch die von dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) des Club of Rome befeuerte Zukunftsangst vor dem ökologischen Kollaps. Ihre politische Formierung als die Partei „Die Grünen“ Ende der 1970er war eine schon zwingende Folge, ebenso wie ihr Marsch in die Parlamente und Institutionen.

Umso erstaunlicher ist es, daß sich bereits in der Anfangszeit dieser Bewegung kritische Stimmen gegen sie erhoben. Eine von ihnen war die des amerikanischen Schriftstellers D. Keith Mano (1942 – 2016), der die ökologische Bewegung 1973 in seiner dystopischen Satire „Die Brücke“ aufs Korn nahm. 1980 erschien sie in der bekannten Science-Fiction-Taschenbuchreihe des Heyne Verlags. Buch wie Autor sind heute leider in Vergessenheit geraten. Doch der Furor, den die Grünen in der Regierungsverantwortung der gegenwärtigen Ampelregierung entfachen, wo sie einen bislang nicht für möglich gehaltenen Schaden anrichten, verhilft Manos 50 Jahre alte Geschichte zu einem vollkommen neuen Reiz.

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Bereits die ersten zwei Sätze des Klappentextes stimmen in ihrer drastischen Deutlichkeit den Leser ein: „Man schreibt das Jahr 2035. Nach vierzig Jahren der Diktatur der Grünen ist die Menschheit am Ende.“ Die Grüne Ökologische Bewegung hat nach einem Krieg mit der alten Ordnung vollständig gesiegt. Die einstige Zivilisation und ihre Industriegesellschaft existieren nicht mehr. Die Bevölkerung ist drastisch reduziert. Die Natur wuchert über Ruinenstädte. Statt Kleidung tragen die Menschen enganliegende, schwarze Plastikanzüge. Die Verständigung erfolgt über Fingersprache. An die Stelle gewöhnlicher Nahrung tritt die Öko-Diät, ein nicht definiertes Gebräu, das seinen Nutzer zu einem langsamen, scheußlichen Sterben verurteilt:

Krebs war neben den üblichen Infektionen die zweithäufigste Todesursache. Öko-Diät zerstörte und veränderte die Zellwandstruktur von Magen und Darm. Geschwülste wurden zu selbstständigen Lebensformen erklärt, deren Existenzrecht ebenso hoch eingeschätzt wurde, wie das ihrer Wirte. Hinzu kam, daß die Ärzte nur wenig dagegen ausrichten konnten: Medikamente, Röntgenaufnahmen und chirurgische Eingriffe waren verboten, da all diese Maßnahmen die Vernichtung einer großen Anzahl von Bakterien bedeutet hätte.

Es ist nicht weiter verwunderlich, daß in diesem System selbst die Tötung von Insekten einem Kapitalverbrechen gleichkommt.

Das verfallene New Yorker Yankee Stadion wurde umfunktioniert zu einem Gefängnis. Hier sitzt Dominick Priest ein. Sein Vergehen: Er hat „im Zorn gesprochen“.

Doch von einem Tag auf den anderen werden alle Insassen freigelassen. Nicht wegen einer Amnestie, sondern um sich auf das ultimative Ende der Menschheit vorzubereiten:

EINSTIMMIGER BESCHLUSS DES OBERSTEN RATES
Von 7. Juli 2035

Da vom Fachausschuß für Fragen der menschlichen Atmung unwiderlegbar festgestellt wurde, daß der Atmungsprozeß von jeher und auch in Zukunft unzählige Formen mikrobiologischen Lebens in ihrer Funktion lähmt und zerstört, haben wir, vom Obersten Rat, vollzählig und einstimmig beschlossen, daß der Mensch als vernunftbegabtes Wesen diese mutwillige Vernichtung anderer Lebewesen, die dasselbe Existenzrecht wie er besitzen, nicht länger hinnehmen kann. Es wird somit angeordnet, daß jedermann aus freien Stücken und innerer Zerknirschung das Aussterben seiner Art herbeiführt.

Diese Verordnung tritt für alle Zivilpersonen und Bürger am 20. Juli 2035, für alle Offiziere und Beamte des Rates am 1. August 2035 in Kraft.

Damit ist zugleich die Hoffnung verbunden, liebe Mitbürger, daß jeder seinen vergänglichen Leib der Erde in einer Haltung wiederschenkt, durch welche die abscheulichen Verbrechen und Schandtaten, die unsere Art im Laufe der Geschichte an der Natur begangen hat, wenigstens zu einem kleinen Teil wiedergutgemacht werden.

Gehet hin in Frieden und Liebe!

Nach Aushändigung der Todespille wird Priest noch einmal die Gelegenheit eingeräumt, ein letztes Mal Frau und Kind wiederzusehen. Sein weiter Weg nach Norden, nach New Loch, seinem Geburtsort, führt ihn durch albtraumhafte, von Moskitos beherrschte Landschaften. Zwei Ereignisse auf seinem Weg werden zu entscheidenden Initialzündungen für eine außergewöhnliche Transformation Priests. Zum einen die Tötung zweier Grüner Gardisten in Notwehr. Zum anderen die Begegnung mit dem uralten Xavier Paul, dem letzten christlichen Priester, dem Vertreter einer Religion, die für das Prinzip des Lebens steht:

„Jesus Christus gab sein Fleisch und sein Blut für uns. (…) Deshalb haben sie auch unsere Kirchen geschlossen. Sie meinten, das Ganze sei Kannibalismus. Außerdem konnten wir sowieso keine Messen halten… Es gab weder Brot, noch Wein. Öko-Diät hat nichts mit Christi Blut zu tun. Es steckt kein Leben drin. Das ist tote Materie.“

In Priest erwachen uralte, zutiefst menschliche Instinkte. Die groteske Inszenierung seiner Taufe transformiert Priest in einen neuen Adam, aus dem die Menschheit von neuem entsteht.

Der aus einer christlichen Perspektive schreibende Konservative Mano erkannte in der Ökologiebewegung einen antihumanistischen Kern, dem er in „Die Brücke“ eine drastisch übersteigerte Form gab und aufzeigte, wohin er in allerletzter Konsequenz führt. Schon zu Lebzeiten durfte er sich mit dem Blick allein auf den Forderungskatalog der Tierrechtsorganisation PETA ebenso bestätigt fühlen, wie bei den Vorstellungen von Philosophen wie Peter Singer, der bei Tier und Mensch keinen Unterschied sieht. Daß sich das Umfeld der Tierrechtler eine zweifelhafte Moral zu eigen macht, die andere Menschen als Bedrohung empfinden, daraus machen viele von ihnen selbst keinen Hehl.

Zwischen Manos Buch und heute liegen genau 50 Jahre. Es wundert nicht, daß an ihrem Anfang seine Warnungen vor der grünen Utopie angesichts der Wirkmächtigkeit des Zeitgeistes kein Gehör finden konnten, zumal in dieser Form einer derart radikalen Satire, die auf viele Rezensenten und Leser zu abstoßen wirkte, um verstanden zu werden. Die Hoffnung bleibt, daß an ihrem Ende die Umsetzung dieser Utopie und praktische Regierungspolitik bei den Wählern einen späten, aber heilsamen Schock auslöst, der in der Fortführung ihrer Umsetzung einen baldigen und endgültigen Abbruch erteilt.

D. Keith Mano
Die Brücke

Heyne
192 Seiten, 1980
Nur noch antiquarisch erhältlich

Sie konnte mehr als „Sissi“

„Nach diesem Job der nächste. Und dann ein weiterer. Und alle voller Augenblicke, auf die andere Reporter ein ganzes Leben warteten. Was hatte ich doch für ein Glück! Schließlich war ich ja, was ich sein wollte: ein Reporter. Der Reporter. Ich trat wütend und überflüssigerweise aufs Gaspedal, und das Tempo stieg. Ich war kein Reporter, sondern eine Übertragungsmaschine. Ich war die fleischgewordene, morbide Neugier der Welt.“ (D.G. Compton, „Tod Live“)

Die Rolle der österreichischen Kaiserin Elisabeth von Österreich, kurz „Sissi“, machte sie in dem gleichnamigen Kino-Dreiteiler (1955-57) zur Ikone des deutschen Kinos. Um das damit verbundene Image abzustreifen, wandte sich die deutsche Schauspielerin Romy Schneider danach künstlerisch anspruchsvolleren Filmproduktionen zu. „Death Watch – Der gekaufte Tod“ (1979) war einer ihrer letzten Filme kurz vor ihrem viel zu frühen Tod 1982 im Alter von nur 43 Jahren.

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Ende der 1970er Jahre war noch nicht absehbar, welche Entwicklung das Fernsehen in seiner Gier nach Einschaltquoten noch nehmen würde. Versuche einer Medienkritik gab es dennoch durchaus, so „Das Millionenspiel“ (1970) und „Network“ (1976), die „die neuzeitliche Form des römischen Zirkusses“ (Marvin Harris) einer scharfen Abrechnung unterzogen. Ihnen schloß sich „Death Watch“ an.

Basierend auf den 1975 erschienenen Science-Fiction-Roman „Schlaflose Augen“ (späterer Titel „Tod Live“) von David G. Compton führt der französische Regisseur Bertrand Tavernier (1941 – 2021) den Zuschauer in eine keineswegs so ferne Zukunft, die aus heutiger Perspektive schon überholt erscheint. Romy Schneider nimmt darin die Rolle der Bestsellerautorin Katherine Mortenhoe ein, die von ihrem Arzt über eine tödliche Diagnose informiert wird. Sie habe nur noch wenige Wochen zu leben. Was sie nicht weiß: Im Hintergrund zieht der Fernsehsender NTV die Fäden, der sich für sein Format „Death Watch“ die Filmrechte über ihr Sterben sichern will. Ohne daß sie es ahnt, setzt Senderchef Vincent Ferriman (Harry Dean Stanton; „Alien“, „Paris, Texas“) Roddy Farrow (Harvey Keitel; „Bad Lieutenant“, „Pulp Fiction“) auf sie an, dem erst kurz zuvor eine Mikrokamera hinter die Netzhaut implantiert wurde. Während sich Katherine in der ihr vermeintlich noch verbleibenden Zeit auf die Spurensuche nach ihrem bisherigen Leben begibt, ist das Fernsehen immer live dabei.

Schneider bot ihr ganzes Schauspieler-Repertoire für diese Rolle auf. Und etwas von der sensiblen und zerbrechlichen Katherine Mortenhoe spiegelt sich auch in ihrer eigenen Biographie wieder, was sie zur Idealbesetzung des Films machte. Tavernier schwärmte von seiner Hauptdarstellerin in den höchsten Tönen: „Sie hatte diese Kraft, diese Lebendigkeit an sich, die dazu führte, daß sie über der Realität stand.“

Screenshot „Death Watch“; Romy Schneider

Eine scheinbar unbedeutende Nebenszene verdient besondere Aufmerksamkeit: In einem Park geht sie freundlich lachend auf einen mit einem Fußball spielenden Jungen zu. Der Junge ist Romy Schneiders Sohn David Christopher Haubenstock, der 1981 als 14jähriger bei einem tragischen Unfall ums Leben kam:

Eine Überraschung ist Keitel als Roddy. Hauptsächlich durch seine Filme mit Quentin Tarantino bekannt, wird vergessen, daß er bereits in den 1970er Jahren sowohl in den USA wie in Europa ein gefragter Charakterdarsteller war. Jedoch, zu der Zeit von „Death Watch“ hatte Keitel bei den Studiobossen einen schlechten Ruf. Daß jedenfalls ein Beau wie Richard Gere als die bevorzugte Wahl der Produzenten Keitel nicht annähernd hätte ersetzen können, versteht sich von selbst. In weiteren Nebenrollen sind Max von Sydow und Bernhard Wicki zu sehen.

Screenshot „Death Watch“; li. Harvey Keitel, re. Harry Dean Stanton

„Death Watch“ steht für den Voyeurismus und die Ausbeutung der Emotionen im Fernsehgeschäft – „eine neue Pornographie“. Fernsehsender und Publikum gehen dabei eine Symbiose ein, die sich in einer bösartigen Dynamik gegenseitig befeuern. Alles was zählt ist die Quote. Was heute gesendet wird, ist morgen schon vergessen. Die Drehkulissen im vom Verfall und Schäbigkeit gezeichneten Glasgow verstärken noch die düstere Atmosphäre des Films.

Auf das Feuilleton der damaligen Zeit wirkte das Melodram zu sperrig. Leider war man zu weit entfernt von jeder Ahnung, was noch alles an abseitigen Formaten über den Fernsehschirm flimmern würde. Comptons Vision des „Reality TV“ schien selbst für Regisseur Tavernier unmöglich, machbar allenfalls in den USA mit seinem Privatfernsehen. Jeder, der ernsthaft entsprechende Prophezeiungen getätigt hätte, wäre in der Klapsmühle gelandet, der Endstation so manchen Visionärs.

Trailer „Death Watch – Der gekaufte Tod“
Death Watch – Der gekaufte Tod
Mit Romy Schneider, Harvey Keitel u.a.
2:04 Stunden; 1980
David G. Compton
Tod Live
Heyne Verlag
301 Seiten; Ausgabe 1997