Vor 50 Jahren veröffentlichten Pink Floyd ihr Meisterwerk „Wish You Were Here“
Im Geschäft der kreativen Künste birgt großer Erfolg stets auch große Gefahren. Einmal den Gipfel erreicht, stellt sich die Frage, was danach kommt. Reichen die kreativen Ideen, um die erreichte Position zu halten oder droht die Abwendung des Publikums und damit verbunden der Sturz aus großer Höhe in die Leere der persönlichen Bedeutungslosigkeit? 1973 katapultierte das Album „The Dark Side of the Moon“ Pink Floyd auf den Gipfel des Olymps. Mit bislang über 50 Millionen Einheiten steht es an den vordersten Plätzen der meistverkauften Alben. Als führender Vertreter des Progressive Rock, der Elemente des Blues, Jazz und der Klassik aufnahm, sollten sie die prägende Kraft der Rockmusik der 1970er Jahre werden.
Als sich die Band Anfang 1975 in den berühmten Londoner Abbey Road Studios, wo auch die Beatles ihre Platten aufnahmen, einfand zu den Aufnahmen des Nachfolgealbums, taten sie das aus Gewohnheit. Doch die Arbeiten der kommenden Monate sollten sich chaotisch gestalten: Die internen Reibungsverluste im Kreativprozeß offenbarten erste Risse im Zusammengehörigkeitsgefüge der Bandmitglieder. Das Ergebnis kam am 15. September 1975 – vor genau 50 Jahren – unter dem Titel „Wish You Were Here“ auf den Markt.
Schon die ersten Klänge des Eröffnungstitels versprachen ein herausragendes Niveau, das das Album bis zum Ende durchhielt. Das Intro des rund 25 Minuten langen „Shine On You Crazy Diamond“ – der in zwei Teilen Anfang und Ende des Albums einrahmte – wurde zum berühmtesten der Rockmusik. Die sphärischen Klänge aus dem Synthesizer von Keyboarder Richard Wright, dem ein filigranes Solo des Gitarristen David Gilmour folgte, versetzten den Zuhörer auf eine psychedelische Astralreise.
Ihm folgte das mit bedrohlich wirkenden Maschinengeräuschen unterlegte und futuristisch anmutende „Welcome to the Machine“ mit seinen riffbetonten Passagen. Dieser Titel wie auch der folgende „Have a Cigar“ galten als Anklage der Band gegen die Musikindustrie, „diesem Monster, das uns zerreibt, zerkaut und ausspuckt“ (Roger Waters). Den Gesangspart von „Have a Cigar“ übernahm als Gastmusiker ausnahmsweise der Bluesmusiker Roy Harper, weil weder Gilmour noch Bassist Roger Waters stimmlich überzeugen konnten. Harper kam mit seiner Stimme tief genug, um den Zorn über das Musikgeschäft, für das der Liedtext steht, überzeugend rüberzubringen.
Durch den gefühlsbetonten Gesang von Gilmour und dominiert von seiner Akustikgitarre steht die an einen Countrysong erinnernde Ballade „Wish You Were Here“ für den Höhepunkt des Albums. Der populäre Titel fehlte seitdem auf keiner Setlist eines Livekonzerts von Pink Floyd.
Das Konzept von „Wish You Were Here“ war als Hommage an den abwesenden Syd Barrett (1946 – 2006) gedacht. Barrett war Mitbegründer und kreativer Kopf der seit 1965 bestehenden Band „der verrückte Diamant“. Durch die negativen Begleiterscheinungen seines Drogenkonsums wurde er 1968 aus der Band geworfen und durch Gilmour ersetzt. Kurz vor Fertigstellung des Albums kam es in den Abbey Road Studios zu einem zufälligen und merkwürdigen Zusammentreffen der Band mit Barrett, der zuerst von niemanden erkannt wurde. Zu sehr hatte der Drogenmißbrauch seine einst stattliche Erscheinung zu einer schmerbauchigen, glatzköpfigen Gestalt in Mitleidenschaft gezogen. Auch geistig war der beginnende Verfall unverkennbar. Kurz danach folgte sein endgültiger Rückzug aus dem Musikgeschäft und der Öffentlichkeit, vor dem ihn seine Familie abschirmte.
Lange hieß es, es die Härte des Musikgeschäfts sei ursächlich für Barrets Wahnsinn gewesen. Doch Schlagzeuger Nick Mason räumte später ein: „Es war weniger die Plattenindustrie, die Druck auf ihn ausübte, als wir.“
Dem Albumkonzept entsprach auch die aufwendige Gestaltung des doppelten Plattencovers durch das Graphikstudio Hypgnosis. Die Platte war eingeschweißt in eine schwarze Plastikfolie, auf dem ein Sticker mit zwei Roboterhänden prangte, ein Symbol für den Geschäftsabschluß im Musikbusiness. Das derart darunter verborgene, eigentliche Cover – ohne Hinweis auf Albumtitel und Band – nahm das Motivs des Handschlags auf, durch zwei Männern im Anzug, die sich die Hand reichen, einer davon sich am Handschlag verbrennend. Die Fotografie war keine Montage, sondern wurde durch einen tatsächlich brennenden Stuntman auf dem Gelände der Warner Studios in Hollywood aufgenommen. Beide Bilder wurden, so wie auch das Prisma-Cover von „Dark Side of the Moon“ ikonisch.
Publikum und Kritik nahmen „Wish You Were Here“ begeistert auf. Auch dieses Album entwickelte sich mit 20 Millionen Einheiten zum Megaseller. Das kunstvolle und ausgereifte Meisterwerk steht als Meilenstein sowohl für den kreativen Höhepunkt der Band wie auch des Artrock. Für Gilmour „ist es in mancher Beziehung das vollendeste Album“. Dem sollte aber der Beginn eines Niedergangs durch interne Konflikte folgen. Zunehmend dominierte Waters, der die übrigen Bandmitglieder regelrecht zu Session-Musikern degradierte. Immerhin erschien 1979 mit „The Wall“ ein weiteres Erfolgsepos. Doch danach war die Band in ihrer bisherigen Form nicht mehr zu retten.
1985 stieg Waters aus. Es folgte ein erbitterter Rechtsstreit über die Namensrechte zwischen ihm und dem Rest der auf Gilmour und Mason geschrumpften Band. Pink Floyd konnten bis zu ihrer offiziellen Auflösung 2015 weitere Erfolgsalben liefern, allerdings ohne die kreative Genialität früherer Tage, und traten in opulenten Stadionkonzerten auf: Willkommen in der gut geölten Mega-Maschine Pink Floyd. Hier mit seinen Solowerken nicht mithalten zu können und nur noch vom Material aus alten Pink Floyd-Zeiten zu zehren, hatte Waters schlichtweg nur noch „angekotzt“.
Der letzte gemeinsame Auftritt der Originalbesetzung anläßlich des „Live-8“-Konzertes 2008 bedeutete das vorläufige Ende des kalten Krieges. Dem folgte 2011 ein letzter gemeinsamen Auftritt von Waters mit Gilmour und Mason in der Londoner O2 Arena. Diese Entspannungsphase endete spätestens 2023 mit der öffentlichkeitswirksamen Distanzierung von Gilmour und seiner Ehefrau Polly Samson von Waters auf Twitter, heute „X“, dem sie vor allem seine antisemitischen Ausfälle gegen Israel vorhielten.
Wo Syd Barrett durch den Drogensumpf der Realität entglitt, ist es bei Waters die manische Fixierung auf den Antikapitalismus, der geistigen Geschwister des Antisemitismus. Nichts offenbart das besser, als das mit „Animals“ (1976) auf den Konzerten eingeführte, überdimensionale Ballonschwein, Symbol für die Heuchelei der Elite, welches am Ende vom Publikum zerstört wird. Waters erweiterte für seine Auftritte diese Botschaft mit einem Tabubruch, indem er es neben dem Davidstern auch mit Dollarzeichen, Shell-Symbol und McDonald’s-Schriftzug und sogar noch mit Hammer und Sichel garnierte.
Der inzwischen 79jährige Gilmour, der zuletzt mit „Luck and Strange“ ein vielbeachtetes Solowerk vorlegte, hat im vorigen Jahr mit einer erstaunlichen Einigung mit dem Sony Konzern das Kapitel Pink Floyd für sich beerdigt. Für schlappe 400 Millionen Dollar hat das Unternehmen von den Bandmitgliedern und den Nachlaßverwaltern des 2008 verstorbenen Wright die Musikrechte sowie die Namens- und Bildrechte an Pink Floyd gekauft.
„Grab that cash with both hands and make a stash“ – Schnapp dir das Geld mit beiden Händen und erschaffe einen Vorrat, so hieß es noch höhnisch in „Money“ auf „Dark Side oft the Moon“. Das ambivalente Verhältnis zwischen Kapitalismuskritik einerseits und dem einträglichen Einvernehmen mit der Musikbranche andererseits ist der Band immer wieder vorgehalten worden, auch gerade angesichts von „Wish You Were Here“. Hat sich an Pink Floyd ein altes Vorurteil bestätigt, wonach es nichts Schlimmeres gebe als einen Linken, der an Geld geleckt hat?
Pink Floyd galten in ihrer Hochphase in den 1970er Jahren nicht nur als musikalische Revolutionäre, sondern auch als Rebellen gegen das Establishment. Trefflich gibt der deutsche Journalist Alexander Gorkow in seinem an diese Zeit angelehnten, autobiographischen Kindheitsroman „Und die Kinder hören Pink Floyd“ (2021) dieses Image wieder, indem er die jugendlich-naive Sichtweise seiner über die millionenschwere Band ergriffenen Schwester wiedergibt: „Pink Floyd sind Sozialisten. (…) Wesentlich geht es ihnen in ihrer Kunst einerseits um den Kampf gegen das Establishment, andererseits um die Befreiung des Einzelnen aus den Klauen des Systems.“
Dabei haben die Mitglieder von Pink Floyd nur die gleiche Entwicklung durchlaufen wie parallel viele andere aus der Gegenkultur der 1960er Jahre. Das „System“, gegen das sie standen, hat sie aufgesogen und korrumpiert, gut an ihnen verdient, wie auch sie dabei gut verdienten und ihre Plattenfirma ihnen zudem alle Freiheiten ließ.
Wie sehr diese sozialkritische Haltung zur Attitüde verkommen ist, hat unfreiwillig niemand besser bestätigt als David Gilmour in einem entlarvenden Interview 1995 im SPIEGEL. Gilmour beharrte darauf, trotz seines Reichtums nicht zum Establishment zu gehören. Die Interviewer entgegneten bissig: „Sie sitzen in einem exklusiven Londoner Club, trinken Cappuccino für 15 Mark pro Tasse und sagen, Sie gehören nicht zum Establishment? Das ist echter Luxus.“
Gilmour fiel dazu nicht mehr ein als ein lakonisches „Allerdings“.
Eine kürzere Version des Textes erschien in der Ausgabe 40/2025 der JUNGEN FREIHEIT:
![]() | PINK FLOYD Wish You Were Here 1975 |
![]() | Alexander Gorkow Die Kinder hören Pink Floyd Tb., 192 Seiten, 13,- EUR KiWi-Taschenbuch 2022 |

