Der etwas sperrige und merkwürdige Titel dieses Romans weckt Neugier: „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ – was mag der tschechische Autor Jaroslav Kalfar dahinter verborgen haben? Tschechien ist nicht als Raumfahrtnation bekannt, eher schon für gutes Bier. Und doch, wenn man einmal angefangen hat darin zu lesen, dann eröffnet sich eine der vielfältigsten und beeindruckendsten Geschichten der letzten Jahre, ein Roman, der es verdient hat, zu den besten Neuerscheinungen der letzten Jahre gezählt zu werden. Selten zuvor habe ich ein Buch gelesen, in dem derart virtuos die Genres vermischt werden: Hier erwartet den Leser Science-Fiction, in Form einer Tragödie, Satire und Groteske, mit einer Achterbahnfahrt der Emotionen.
Doch worum geht es? Ein unerwartetes kosmisches Phänomen in der Nähe der Venus – genannt die Chopra-Wolke – weckt den Tatendrang der tschechischen Nation. Da keine der traditionellen Raumfahrtnationen diese Erscheinung näher in Augenschein nehmen will, entschließt sich ausgerechnet diese kleine Nation zu einer einmaligen Raumfahrtmission, finanziert durch Merchandising und Productplacement. Von einem Kartoffelacker steigt die Raumsonde JanHus1 – benannt nach dem gleichnamigen Nationalhelden (wie hätte es anders sein können?) – ins All. An Bord befindet sich nur ein Astronaut, der Astrophysiker Jakub Procházka.
Doch Procházkas Aufbruch in die Weiten des Weltalls birgt so seine Tücken. Spannungen brechen auf zu seiner auf der Erde zurückgelassenen Partnerin Lenka. Und nach einiger Zeit überkommt den einsamen Astronauten ein eigenartiges Gefühl. Kann es sein, daß da noch jemand in der Raumsonde ist? Tatsächlich: Der blinde Passagier entpuppt sich als ein Außerirdischer mit dem Aussehen einer menschengroßen Spinne. Lange hat sie Procházka studiert. Hanus ist der Name des rätselhaften Wesens mit der Vorliebe für Nutellaaufstrich.
Procházka hält seine Entdeckung vor der Bodenstation geheim. Für ihn beginnt mit seinem unerwarteten Gefährten ein Abenteuer, das das ursprüngliche Ziel der Mission weit übertrifft. Hanus erwartet in der Chopra-Wolke die Bestimmung seines Lebens, während für Prochàzka die Reise hier noch lange nicht zu Ende sein wird.
Jaroslav Kalfar hat mit seinem Debüt „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ einen äußerst vielschichtigen Roman vorgelegt. Es ist nicht allein eine Abenteuergeschichte, verarbeitet werden auch sehr ernste Themen der tschechischen Zeitgeschichte: Die Sünden der Väter in der kommunistischen Diktatur und ihre nachfolgende Aufarbeitung, die schmerzvolle Konfrontation mit dem Leiden ihrer Opfer, die kapitalistische Transformation mit ihren korrupten Begleiterscheinungen – in all das ist Kalfars Protagonist Procházka auf teilweise tragische Weise biographisch eingebunden.
Netflix hat im vergangenen Jahr Kalfars Roman unter dem Titel „Spaceman“ verfilmt. Hollywoodgerecht für den Massengeschmack wurde es um viele seiner Elemente entkernt auf eine Schmonzette mit Happy End, die kaum das Gefallen des Autors gefunden haben dürfte. Wer das Buch kennt, kann hiernach nur enttäuscht sein. Immerhin, Hauptdarsteller Adam Sadler, sonst nur bekannt für seichte Comedy, lieferte einen der ernsteren Auftritte seiner Laufbahn ab.
Das Beste an „Spaceman“ ist der von Max Richter komponierte Soundtrack, der in der melancholischen Wirkung seines Themas vielleicht eher dem Buch näherkommt als seiner Verfilmung.
![]() | Jaroslav Kalfar Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt 368 Seiten, TB, 2024 Tropen Verlag 14,00 EUR |