Als über Pompeji die Hölle hereinbrach

Zuerst war es ein Erdbeben, das das eigentliche Drama ankündigte. Dann, am 24. August 79 n. Chr. (andere sagen, es war am 24. Oktober), schlug der Vesuv zu: Aus dem Schlot des Vulkans an der Küste Kampaniens, am südwestlichen Ende der italienischen Halbinsel im Golf von Neapel, bricht das Inferno los. Eine gewaltige Säule aus Magma, Gas und Wasserdampf schießt wie eine Stichflamme mit Überschallgeschwindigkeit aus dem Berg in den Himmel. Diese weithin sichtbare Eruptionssäule senkt sich nach Abkühlung ab und ergießt sich in einem tödlichen Regen aus Lava, Asche und Bimsstein über die Umgebung, der sie acht Meter tief begräbt. Wer nicht bereits beim Erdbeben geflohen ist, fällt dieser Apokalypse unweigerlich zum Opfer. Innerhalb von wenigen Stunden ist die römische Kleinstadt Pompeji zusammen mit ein paar kleineren Orten ein Friedhof.

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Dank des Augenzeugenberichtes des Naturforschers Plinius des Jüngeren (61/62 – 113 oder 115 n. Chr.), der das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtete, ist der Vulkanausbruch von Pompeji die am besten dokumentierte Naturkatastrophe der Antike. Er ist auch der Neffe von Plinius des Älteren, Admiral der vor Miseum stationierten Flotte, der an Bord seiner Schiffe zu einer – letztlich erfolglosen – Rettungsmission ausrückte, bei der er auch sein Leben verlor. Doch nicht allein Plinius‘ Zeugnis gibt Aufschluß über diese Tragödie. Ebenso haben die archäologischen Grabungen seit Mitte des 18. Jahrhundert eine Fülle von teils spektakulären Funden hervorgebracht, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Es ist, als habe der Vulkanausbruch das römische Leben in der Antike regelrecht in seiner ganzen Fülle in einem Augenblick für die Nachwelt eingefroren.

Im Museumspark Kalkriese, wo seit 2000 die Funde zur Schlacht im Teutoburger Wald (9 n. Chr.) ausgestellt sind, widmet man sich in diesem Jahr in einer Sonderausstellung der Katastrophe von Pompeji. Gemessen an der Masse der Funde mag die Zahl der Exponate bescheiden sein, doch bieten sie einen eindrucksvollen und manchmal auch einzigartigen Einblick in das römische Leben vor rund 2000 Jahren, mit teils überraschenden Erkenntnissen.

Luxus, Pracht und Alltag: Da ist der unangetastete Brotlaib einer Bäckerei, der aufzeigt, wie plötzlich und unerwartet die Katastrophe über die Bewohner Pompejis hereinbrach. Und so, wie die Bäckereien heute ihre Waren mit den Labels ihres Betriebes auf den Verpackungstüten vermarkten, so haben damals ihrerseits die Bäcker ihre Brote mit einem heute noch erkennbaren Stempel gekennzeichnet.

Für die hohe Kunstfertigkeit des Handwerks im römischen Reich und der globalen Herkunft ihrer Motive steht zum einen der gewundene Armreif in Schlangenform, der auf orientalische Vorbilder zurückgeht.

Wiederum aus Ägypten stammt der Skyphos, ein meisterhaft gestalteter Trinkbecher aus Obsidian mit beidseitigen Henkelgriffen, auf dem in typisch alexandrinischem Stil eine bunte Opferszene abgebildet ist.

Römische Goldmünzen in Indien bezeugen die weitreichenden Handelsbeziehungen. Aus Indien kam dafür bis Pompeji die Statuette der indischen Göttin Lakshmi, ein außerordentlich schönes und filigranes Werk aus Elfenbein, das kaum in einem kultischen Gebrauch war, sondern vermutlich zu dem ganz profanen Zweck als Griff für ein Körperpflege-Utensil.

Hätten wir ohne Pompeji Kenntnis von diesem Alltagsgegenstand? Mit dem tragbaren, aus Bronze gefertigten Kohlebecken auf drei Beinen auf Löwenpfoten konnte nicht nur geheizt, sondern auch Speisen erwärmt werden. Befeuert wurde es mit Holzkohle.

Leider kam aus seiner Öffnung nur Wasser und kein Wein: Sinn fürs Detail und in gewisser Weise auch Humor beweist der Brunnenmund in Form eines Weinschlauchs, auf dem ein Satyr aus dem Gefolge des Weingottes Dionysos sitzt.

Ausgestellt sind auch die Marmorbüsten zweier führender Repräsentanten dieser Zeit, zum einen die des Kaisers Tiberius (42 v. Chr. – 37 n. Chr.), der sehr viel Zeit am Golf von Neapel verbrachte, seines späteren Nachfolgers Vespasian (9 – 79 n. Chr.) sowie des Flottenadmirals Plinius des Älteren (23/24 – 79 n. Chr.). Jedes Porträt erlaubt in seiner Stilistik Rückschlüsse auf das jeweilige Selbstverständnis, was der Dargestellte über sich der Umwelt mitzuteilen gedenkt. War es bei Tiberius vor allem der tatkräftige Charakter des auch im hohen Alter jugendlich erscheinenden Kriegshelden, so stellt das etwas derbe und ehrliche Bildnis Vespasians seine Volksverbundenheit heraus.

Zum Ende des Rundgangs verabschiedet den Besucher die schauerliche Szenerie zweier Gipsausgüsse von in Pompeji umgekommenen Opfern. Die von der Asche umschlossenen Körper bildeten Hohlräume, die später seit den 1870er Jahren von Ausgräbern mit Gips ausgegossen wurden. Selten erschienen die Menschen der Antike der modernen Nachwelt näher als in diesem Zustand zum Zeitpunkt ihres Todes.

So grausig der Untergang von Pompeji selbst nach 2000 Jahren auf die Nachwelt wirkt, diese Tragödie erwies sich in dem unter der Lava und der Asche verschütteten Vermächtnis als einzigartiger Glücksfall für die Wissenschaft. Ihre Erforschung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Die Sonderausstellung „Pompeji – Pracht und Tod unter dem Vulkan“ ist noch bis zum 6. November 2022 im Museumspark Kalkriese zu besichtigen.

Pompeji – Pracht und Tod unter dem Vulkan – Kalkriese Varusschlacht (kalkriese-varusschlacht.de)

Pompeji – Pracht und Tod unter dem Vulkan
Katalog zur Sonderausstellung im Museumspark Kalkriese
2022; 177 Seiten; 16,- Euro

Die Himmelsscheibe als Schlüsselloch der Geschichte

Der Archäologe Prof. Harald Meller war sich der Bedeutung des Fundes wohl noch lange nicht bewußt, als im Februar 2002 ein Raubgräber in der Bar des Baseler Hilton den größten Ausgrabungsfund in Deutschland des 20. Jahrhunderts unter seinem Pullover, eingewickelt in einem Handtuch, herausholte und ihm präsentierte: Die als „Himmelsscheibe von Nebra“ berühmt gewordene Bronzeplatte aus der Bronzezeit Mitteleuropas. Das konspirative Treffen war mit dem Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt verabredet worden, um den Raubfund, den zwei illegale Sondengänger am 4. Juli 1999 auf einem Höhenzug in der Nähe des sachsen-anhaltinischen Städtchens Nebra machten, mit einem hohen Gewinn zu verkaufen. Mit dem Auftauchen der bis dahin verdeckt operierenden Schweizer Polizeibeamten, die eng mit Meller zusammenarbeiteten, klickten die Handschellen und der Handel war damit geplatzt.

Das vorläufige und abrupte Ende dieses hochspannenden Wissenschaftskrimis war der Einstieg in die bis heute nicht abgeschlossene Forschungsarbeit über die Himmelsscheibe, die sich bis heute besonders auch außerhalb der Fachwelt einer ungeheuren Popularität erfreut. Der Fundort auf dem Mittelberg ist inzwischen gekennzeichnet durch das „Himmelsauge“, in direkter Nachbarschaft steht ein Aussichtsturm und auf dem Wanderweg dorthin befindet sich seit 2007 ein Besucherzentrum, das sich zu einem touristischen Anziehungspunkt entwickelt hat. Die Himmelsscheibe ist nicht nur ein Glücksfall für die Wissenschaft, darüber hinaus ist sie auch zu einem Segen für eine ansonsten strukturschwache Region geworden.

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Arche Nebra / Lageplan / Himmelsauge / Aussichtsturm / © Daniel Körtel

Am vergangenen Freitagabend stellte Meller im Rahmen des Literaturherbstes Göttingen in der Paulinerkirche den aktuellen Stand der von ihm geleiteten Forschungen über die Himmelsscheibe vor. Basis dieses Vortrags ist sein mit dem Co-Autor Kai Michel erarbeitetes neuestes populärwissenschaftliches Werk „Griff nach den Sternen – Nebra, Stonehenge, Babylon: Reise ins Universum der Himmelsscheibe“, das Nachfolgebuch zu seinem Bestseller „Die Himmelsscheibe von Nebra“.

Prof. Harald Meller (links) / © Daniel Körtel

Zu Beginn hob Meller heraus, daß das vor 3700 bis 4100 Jahren geschmiedete Artefakt mit seiner ältesten Darstellung konkreter astronomischer Phänomene die aufwendigste Forschungsleistung – gemessen an der Fläche -aufweise und uns die Welt der Bronzezeitmenschen größer als bislang gedacht erscheinen lasse. Seine Entdeckung verdanke sich dem Umstand, daß nachfolgend durch die Wende 1989/90 die Neuen Länder zu einem El Dorado der Raubgräber wurden, während der Westen der Bundesrepublik bereits weitgehend ausgekundschaftet gewesen sei. Überwiegend sind Militaria aus dem Zweiten Weltkrieg, wie im Kessel von Halbe, die Suchobjekte der Sondengänger. Doch mit einem derart alten und qualitativ hochwertigen Fund hatte bis dahin niemand gerechnet.

Die in fünf Phasen zu ihrer letzten Form umgearbeitete Scheibe gab den Ackerbaukulturen der damaligen Zeit ein kalendarisches Instrument in die Hand, um die nicht kongruent laufenden Mond- und Sonnenjahre mit Hilfe der darauf abgebildeten Plejaden und der Monddarstellung in Übereinstimmung zu bringen.

Die am linken und rechten Rand aufgetragenen goldenen Seitenbögen ermöglichen über den Horizont die wichtige Bestimmung der Winter- und Sommersonnenwende am 21. Juli bzw. am 21. Dezember. Wer sich in der wiedererrichteten Kreisgrabenanlage von Goseck – einem ca. 4900 v. Chr. errichteten Sonnen-Observatorium, nur knapp 40 Kilometer von Nebra entfernt – befindet, erkennt hier sofort die Übereinstimmungen im Aufbau.

Kreisgrabenanlage von Goseck / © Daniel Körtel

Meller sieht in den verschiedenen Phasen der Himmelsscheiben-Bearbeitung eine Entwicklung „vom Logos zum Mythos“, das heißt seine einem kleinen geheimen Personenkreis vorbehaltene rationale Nutzung ging verloren zugunsten eines Symbols der öffentlichen Repräsentation der Machtelite, wofür auch seine abschließende Deponierung mit den Schwertern eines Fürsten spricht.

Aber warum fand die Himmelsscheibe dieses Ende? Meller sieht den Grund hierfür in der ersten schweren Pestwelle, die Europa um 1600 v. Chr. heimgesucht hat. Die Folgen eines gleichzeitigen Vulkanausbruchs dürfte mit dem damit verbundenen „Himmelsfeuer“ das Gefühl einer Endzeit vermittelt haben, deren Kräfte sich nur mit einer wertvollen Opfergabe wie der Himmelsscheibe besänftigen ließen.

Doch wer waren die Menschen der Himmelsscheibe? Sie gehörten der Aunjetitzer Kultur (benannt nach dem ersten Fundort im böhmischen Aunjetitz) an, die im Vorharz ein wahres El Dorado für den Ackerbau vorfanden. Zwar ist die Region von wüstenartiger Trockenheit geprägt, doch der Lössboden bot für das Getreide einen optimalen Grund. Hier führte die Verschmelzung der neolithischen Kulturen der Glockenbecher und Schnurbandkeramiker zur Gründung eines ersten Staates in Mitteleuropa.

Die Aunjetitzer Kultur zeichnete sich aus durch soziale Differenzierung mit einer Elite an der Spitze, die sich durch Machtsymbole auszeichnete und die Gemeinschaft vor den Göttern vertrat. Des Weiteren war sie durch Fernhandelswege – und kontakte bis nach Cornwall und den Vorderen Orient global vernetzt. Doch ihre Beziehungen zeichneten sich nicht nur durch friedlichen Austausch aus, sondern auch durch interne Gewalt und Kriegszüge. Durch das Skelett eines Fürstengrabs konnte sogar der erste Fürstenmord der Geschichte nachgewiesen werden! Ebenso belegt sind Menschenopfer, ein Kennzeichen aller ersten Hochkulturen.

Bemerkenswert waren Mellers Ausführungen über die „Bernstein-Sperre“, die die Aunjetitzer Kultur über ihren wertvollen Schatz verhängte. Erst nach ihrem Zusammenbruch konnte sich das „Gold des Nordens“ frei über Europa verbreiten.

Abschließend stellte Meller die Himmelsscheibe von Nebra als ein Produkt globaler Vernetzung vor: Ihre Rohstoffe kamen unter anderem aus Cornwall, die Handwerkstechniken mit den Goldtauschierungen aus der Ägäis, das Schiffssymbol aus Ägypten und das Element der Plejaden aus dem Vorderen Orient. Meller zufolge ist es unwahrscheinlich, daß letzteres seinen Weg direkt aus dem Orient nach Mitteleuropa fand. Eher sei davon auszugehen, daß Reisende aus Europa es auf ihrem Rückweg hierherbrachten.

Mit dieser letzten Vermutung bezieht sich Meller implizit auf die These vom Licht, das aus dem Osten kam. Gleichwohl begibt er sich hierbei auf das Feld der Spekulation. Denn ihr Schwachpunkt besteht darin, daß im Orient ältere Artefakte gleicher oder ähnlicher Art bislang nie gefunden wurden!

Irritierend kommt hinzu, wie Meller noch den Bogen zur Gegenwart spannte und angesichts der bronzezeitlichen Vernetzung von der „Konstruiertheit der Grenzen“ sprach, so als ob diese Vergangenheit eine „No-Border“-Idylle gewesen sei.

Die Rekonstruktion des so hochkomplexen Gegenstandes der Himmelsscheibe, so Meller am Ende, erlaubt uns den Blick durch ein Schlüsselloch der Geschichte auf eine Vergangenheit, die bislang dramatisch unterschätzt wurde.

Die Himmelsscheibe von Nebra kann derzeit im Original noch bis zum 9. Januar 2022 in der Sonderausstellung „DIE WELT DER HIMMELSSCHEIBE VON NEBRA – NEUE HORIZONTE“ des Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) angesehen werden.

Harald Meller * Kai Michel
Griff nach den Sternen
Nebra, Stonehenge, Babylon:
Reise ins Universum der Himmelsscheibe

272 Seiten; 39,- Euro

Der Hortfund von Nebra im Original der Ausstellung (© Daniel Körtel)