Geist, Glamour und Provokation

Das Münchener Literaturhaus würdigt in einer Ausstellung die Publizistin Susan Sontag

An dem übergroßen Schwarzweiß-Porträt im Eingangsbereich des Foyers im Literaturhaus München kann niemand vorbeigehen, ohne länger davor zu verweilen. Der Betrachter wird unmittelbar in den Bann gezogen durch den klaren und festen Blick einer mittelalten Frau, gekleidet in eine modische schwarze Lederjacke. Was sich hier anbietet, ist mehr Erscheinung als Schönheit, ein Charakterkopf.

Porträt Susan Sontag, in einer Aufnahme von Richard Avenon, Literaturhaus München / © D. Körtel

Das Porträt zeigt Susan Sontag in einer berühmten Aufnahme des Starfotografen Richard Avedon aus dem Jahre 1978. Es ist Teil der Ende Mai eröffneten Ausstellung „Everything Matters“. Rund 20 Jahre nach ihrem Tod 2004 entschloß sich das Literaturhaus, die amerikanische Schriftstellerin und Essayistin, die als die erste intellektuelle Stil-Ikone des 20. Jahrhunderts Geist und Glamour miteinander verband, wieder in Erinnerung zu rufen.

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Nicht allein dieses Porträt ist es, das dem Betrachter sofort ins Auge fällt. Weitere ausdrucksstarke Aufnahmen zeigen Sontag in verschiedenen Lebensphasen. So auch jene auf dem Ausstellungsplakat, wo sie als junge Frau sich lässig auf einen Stapel Papiere stützt, hinter sich den Blick auf die verschwommene Silhouette von New York. In späteren Jahren kam ihre auffallende Frisur mit der weißen Strähne zu den Markenzeichen der altersweisen Frau hinzu. Vielleicht war es genau diese optische Präsenz, die ihre Prominenz bestimmte, mehr als ihre Texte.

Susan Sontag, Ausstellungsplakat Literaturhaus München / © D. Körtel

Sontag wußte sich auf Fotos zu inszenieren, vor den besten Fotografen, darunter auch Annie Leibovitz, die 1988 ihre Lebenspartnerin wurde. Wie kaum eine andere setzte sie sich kritisch mit der Macht der Bilder und ihrer suggestiven Wirkung auf den Betrachter auseinander. Ihre Essays „Über Fotografie“ und „Das Leiden anderer betrachten“ sind Standardwerke bis heute. Und doch – oder gerade deswegen – läßt die Ausstellung durch Sontags eigene Aufzeichnungen wissen, mochte sie es nicht fotografiert zu werden.

1933 in New York in eine jüdische Familie hineingeboren wächst Sontag in Arizona auf, wo die Familie im heißen Wüstenklima die Linderung ihres Lungenleidens sucht. Die soziale Isolierung ließ die Heranwachsende Zuflucht in der Bibliothek suchen. Symbolische Bücherstapel stehen für die Unmenge der Klassiker, die Sontag dabei verschlingt. Literatur ist ihr Lebenselixier: „Ich habe dieses Etwas – meinen Verstand. Er wächst, ist unersättlich.“

Vor allem Thomas Mann mit „Der Zauberberg“ fördert ihre Inspiration. Die Ausstellung zeigt das Original ihres Textentwurfes über einen für sie enttäuschenden Besuch bei Mann in dessen Villa in Los Angeles, den sie mit knapp 17 Jahren unternimmt.

Weder das Dasein als Ehefrau noch als Mutter füllt sie aus. Nach gescheiterter Ehe und Aufenthalten in Europa wird Sontag 1960 Dozentin an der Columbia Universität in New York, das zu ihrem Lebensmittelpunkt wird. Ab hier setzt ihr Aufstieg zur Star-Intellektuellen ein.

Eine Vielzahl von Originalausgaben zeigen populäre Publikationen wie Harper‘s Magazine oder Vanity Fair, in denen Sontag ihre Texte publiziert. Sie nimmt darin eine vermittelnde Rolle zwischen der europäischen und der amerikanischen Kultur ein und befürwortet die Auflösung der Trennung von Hoch- und Populärkultur. 1963 erscheint ihr erster Roman, „Der Wohltäter“, ebenfalls im Originaldruck vorgestellt.

Buchausgaben Susan Sontag, Literaturhaus München / © D. Körtel

Der Vietnamkrieg bewirkt eine weitere Politisierung. Videoinstallationen zeigen Sontags Aufenthalte im kommunistischen Nordvietnam, von wo aus sie mit der amerikanischen Außenpolitik scharf abrechnet. Es wird nicht der einzige Aufenthalt an einem „Hot Spot“ bleiben. 1993, mitten im Bosnienkrieg, zieht sie in die belagerte Frontstadt Sarajewo, wo sie Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“ inszeniert.

Bei ihren Landsleuten, vor allem den New Yorkern, macht sie sich schließlich mit ihrem unbequemen Blick auf die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001 unbeliebt, teilweise gar verhasst. In „Feige waren die Mörder nicht“, so der Titel ihres als Faksimile der FAZ-Übersetzung gezeigten Essays will sie nicht in den regressiven Patriotismus einstimmen, der anschließend in die Kriege im Mittleren Osten führte. Die USA reagierten so, wie von Sontag befürchtet.

Das Desaster im Irak sollte Sontags Kritik am amerikanischen Interventionismus bestätigen. Die privaten Schnappschüsse sadistischer Exzesse amerikanischer Soldaten an irakischen Gefangenen im Foltergefängnis Abu Ghraib trafen genau ihr Lebensthema.

Während Sontag und die Amerikaner einander fremder werden, nimmt sie hingegen in Europa an Beliebtheit zu. 2003 erhält sie in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, zu dessen Festakt der US-Botschafter demonstrativ fernbleibt.

Geradezu berührend ist die Videoinstallation über ihre letzte Lebensstation. Nach 1975 und 1998 verliert sie 2004 die dritte und letzte Runde im Kampf gegen den Krebs, der zum Ausgangspunkt für ihr vielleicht berühmtestes Essay „Krankheit als Metapher“ (1978) wurde. Als Sterbeort sucht sich die Herzens-Europäerin ein Domizil in Paris aus, wo sie auch auf dem Friedhof Montparnasse ihre letzte Ruhestätte fand. In der Rückblende kommen frühere Weggefährten zu Wort. „Ja, sie war eitel“, so die Pianistin Mitsuko Uchida, wehmütig der Publizist Darryl Pickney: „Sie war voller Leben.“

In ihren Exponaten konnte die Ausstellung aus dem von Sontags Sohn David Grief – selbst ein erfolgreicher Publizist – verwalteten Nachlaß aus dem Vollen schöpfen: Von den Tagebuchaufzeichnungen und Manuskriptseiten bis zu den kitschigen Nippes, den Sontag in ihrem Sammeleifer von ihren vielen Reisen mitbrachte. Selbst die Lederjacke aus dem eingangs beschriebenen Porträt hat sich erhalten.

Die Leerstelle, die Sontag mit ihrem Tod hinterließ, konnte bislang von keiner anderen Persönlichkeit ausgefüllt werden. In dieser aufgeheizten Zeit hoffen nicht wenige, daß sie heute eine von linker Identitätspolitik abgesetzte Position eingenommen hätte. In ihrer Rede zur Eröffnung der Ausstellung hob die Literaturwissenschaftlerin Anna-Lisa Dieter heraus, daß nach ihrer Einschätzung in Sontags Denken Identität keine Rolle gespielt habe. „„Sontag zufolge sind identitätsbezogene Zuschreibungen ‚Stereotype‘, die einschränken, ja ‚ghettoisieren‘.“

Unter den Tisch fällt dabei das wohl bekannteste Sontag-Zitat: „Die weiße Rasse ist das Krebsgeschwür der Menschheitsgeschichte“, 1967 hinterlegt in der Partisan Review, dem Zentralorgan der New Yorker Intelligenzia. Wer sich so äußert, dem darf zu Recht nachgesagt werden, zum Umfeld woker Ideologie zu zählen.

Die Ausstellung „Everything Matters“ wird noch bis zum 30.11.2025 im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, gezeigt, Montag bis Sonntag 11 – 18 Uhr, Donnerstag 11 – 20 Uhr. Sommerpause bis 31.8. Der Ausstellungskatalog mit 124 Seiten kostet vor Ort 10 Euro.

Der heilige Kaiser am Ende der Zeit

In Bamberg gedenkt eine Ausstellung des Mittelalter-Kaisers Heinrich II.

Daniel Körtel

Lediglich rund 80.000 Einwohner umfasst die oberfränkische Kleinstadt Bamberg. Und doch war sie im Mittelalter über eine längere Phase das politisch-religiöse Zentrum des frühmittelalterlichen Deutschlands. Kaiser Heinrich II. (973/978 – 1024) gab ihr den entscheidenden Schub, als er sie 1007 zum Sitz des neugegründeten Bistums Bamberg erhob. Für den Bayernherzog aus einer Seitenlinie der Ottonen, der 1002 nach dem unerwarteten Tod seines Vetters Otto III. die Königskrone ergriff, war sie die Lieblingsresidenz.

Gemeinsam mit seiner Gemahlin Kunigunde, mit der er ein einzigartiges Duo bildete, formte der zusätzlich 1014 in Rom zum römisch-deutschen Kaiser gekrönte Herrscher das Reich nach seinem Selbstverständnis als von Gott gesandter Regent gemäß christlicher Prinzipien, wobei er sich insbesondere der Reform kirchlicher Institutionen wie der Klöster verschrieb. Diese war für viele seiner Zeitgenossen in Anbetracht der millenaristischen Erwartungen ihrer Zeit über die baldige Wiederkehr Christi überfällig.

Aus Anlaß des 1000. Jahrestages des Todes ihres großen Förderers, der gemeinsam mit Kunigunde im Bamberger Dom bestattet wurde, eröffnete im Oktober vorigen Jahres das Historische Museum der Stadt mit „Vor 1.000 Jahren. Leben am Hof von Kunigunde und Heinrich II.“ eine Ausstellung über das Leben des Herrscherpaares und der Menschen ihrer Zeit.

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Die von der Museumsdirektorin Dr. Kristin Knebel im Begleitband betonte „Vielfalt und Differenziertheit, Dynamik und Mobilität der mittelalterlichen Gemeinschaften“, die gegen das inzwischen überkommene Bild dieses scheinbar dunklen und rückschrittlichen Zeitalters steht, werden durch die Exponate in der Ausstellung perfekt abgebildet. Gleich zu Beginn werden Werkzeuge aus dem Dombau vorgestellt, an deren Form sich bis heute nicht wesentlich viel geändert hat.

Spielsteine und -würfel sowie Schachfiguren belegen, daß durch alle Schichten das Leben nicht allein durch Arbeit bestimmt war, auch wenn von einer Trennung von Arbeit und Freizeit im modernen Sinne nicht die Rede sein kann. Vor allem das Schachspiel nahm für den Adel eine wichtige soziale Funktion ein, denn es war durchaus von Bedeutung, wer es mit wem spielte.

Wie ein optischer Gegensatz zum Klischee des „dunklen Mittelalters“ wirkt die bunte Wand mit den 28 mit allen Farben des Lichtspektrums gefärbten Stoffmustern. Unter der Verwendung heimischer Pflanzen und Insekten wußte das Volk durchaus Farbe in seinen Alltag zu bringen.

Das Aufkommen von Münzen und ihre Verbreitung markieren den wirtschaftlichen Aufschwung, den Europa um die Jahrtausendwende nahm. Das dafür nötige Silber kam aus dem Reichsgebiet. Doch indische Münzen zeigen Handelskontakte sogar bis nach Asien auf.

Breiter Raum wird in der Ausstellung auch Heinrichs Kriegszügen gewidmet. Obwohl sich Heinrich vor allem als christlicher Herrscher nach innen verstand – missionarisch nach außen war er nicht aktiv -, so wenig hatte er Bedenken, gemeinsam mit den heidnischen Liutizen gegen den gleichsam christlichen Polen-König Boreslaw Chrobry vorzugehen, zur Empörung der Zeitgenossen! Gezeigt werden die waffentechnischen Ausrüstungen der beteiligten Parteien, wobei der Kettenpanzer eines Ritters besonders eindrucksvoll wirkt. Videoeinspielungen mit Schauspielern wiederum stellen die Sorgen und Nöte der zum Heeresdienst verpflichteten Bauern dar.

Zum Ende des Rundgangs kommt der Besucher zu den Repliken der Reichskleinodien aus Reichskrone und Heiliger Lanze, in die angeblich ein Nagel aus dem Kreuz Christi eingearbeitet sein soll. In einer Zeit, in der Macht vor allem auf Symbolen beruhte, waren sie von enormer Bedeutung. Heinrich vermochte sich erst durch den raschen Zugriff auf die Heilige Lanze seinen entscheidenden Vorsprung zum Königtum zu sichern.

Heinrich II. verband die Gründung des Bistums Bamberg nicht allein als Werk zu seinem Seelenheil. Ohne Nachkommen, verschaffte er sich damit als letzter der Ottonen-Dynastie damit ein weitreichendes Gedenken, dem in seinem Nachleben besondere Ehrung zuteilwurde. Die Kinderlosigkeit wurde sakral überhöht als Folge einer „Josephsehe“, in der Heinrich und Kunigunde in einem besonders religiösen Lebenswandel dem Vorbild der Jesus-Eltern Maria und Joseph nacheifernd, sexuell nicht miteinander verkehrten. Dies und ihr Einsatz für die Kirche führten zu ihrer Heiligsprechung, zuerst im Jahr 1146 der Heinrichs – als einzigem mittelalterlichen Kaiser – und nachfolgend in 1200 Kunigunde, wobei diese in ihrer Popularität inzwischen ihren Gatten weit überholt hat.

Die Ausstellung „Vor 1.000 Jahren. Leben am Hof von Kunigunde und Heinrich II.“ ist bis zum 27. April 2025 in Bamberg im Historischen Museum, Domplatz 7, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 256 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen kostet im Museum 29,00 Euro.