Zusammenarbeit statt Kampf der Kulturen?

In Hildesheim vermittelt die Ausstellung „Islam in Europa 1000 – 1250“ ein neues Bild vom Austausch zwischen Orient und Okzident

Der im frühen Mittelalter angelegte Hildesheimer Dom vermag in seiner vorromanischen Bauweise eine Ahnung von der Bedeutung dieser Stadt in der damaligen Zeit zu geben. Seinen Höhepunkt als Macht-, Wissens- und Kulturzentrum im ersten Deutschen Reich erlangte er im Hochmittelalter, als seine Bischöfe als Erzieher der Königs- und Kaiserkinder dienten oder in diplomatischer Mission unterwegs waren, auch an der Nahtstelle zur islamischen Zivilisation wie etwa in Süditalien. Die mit ihren Diensten verbundenen Belohnungen in Form von Geschenken kamen einer Prachtentfaltung zugute, die sich auch in einem reich ausgestatteten Domschatz niederschlugen, der heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Weiterlesen

Hildesheimer Dom

Das Dommuseum Hildesheim gibt nun in der Ausstellung „Islam in Europa 1000 – 1250“ der Öffentlichkeit einen Einblick auf die wertvollsten Stücke seiner Schatzkammer. Dabei verbinden die Ausstellungsmacher einen weitergehenden Anspruch, der über die Exponate als anschauliche Zeugnisse ihrer Zeit bis in die Gegenwart reicht. Geht es in dem einleitenden Beitrag zu dem Ausstellungskatalog zuerst um die Dekonstruktion scheinbar überkommener Vorstellungen vom islamischen Mittelalter und illusorischer Epochenbrüche, obgleich die Expansion des Islam angeblich keinen Bruch in den eroberten Gebieten darstellte, so wird der Bogen weiter gespannt in die von ethnischer und religiöser Vielfalt geprägte, postmoderne Bundesrepublik. Als Kronzeugin für diesen Wandel wird die Soziologin Nakia Fourtan angeführt mit ihrer Forderung nach einer Erzählung, „die eine neue, plurale und migrationsoffene nationale Identität formuliert“ und zu der die Ausstellung offenbar ihrerseits einen Beitrag leisten will. Immerhin wird dabei eingeräumt, daß das dem dabei zugrundeliegende Konzept der Transkulturalität, wonach Kulturen nicht getrennt voneinander zu betrachten sind und immer im gegenseitigen Austausch stehen, den Blick auf die Konflikte verengt.

Zu den schönsten und ältesten Exponaten gehört das Keilförmige Reliquiar, mit zwei darin eingearbeiteten, auffallenden Objekten aus dem islamischen Raum, zum einen die krönende Spitze mit einer Schachfigur aus Bergkristall und einem roten Kristall mit der arabischen Inschrift „Muhammad Ibn Ismail“ (Muhammad Sohn des Ismail). Keineswegs war damit die Übernahme religiöser Vorstellungen aus dem Orient beabsichtigt, sondern die Herstellung einer Verbindung zum Heiligen Land und seiner dort gesprochenen Sprache. Die Verwendung solcher Schmucksteine war kein Einzelfall, wie das Heinrichs-Kreuz aus Fritzlar zeigt.

Kaum ein anderes Material ist so schwer zu bearbeiten wie Bergkristall, der im Mittelalter aus Madagaskar importiert wurde. Seine Bearbeitung stellt höchste Ansprüche an das Können des Handwerkers. Kunstvoll eingefräste Reliefs und die Aushöhlung des Rohlings durch einen engen Flaschenhals geben eine Vorstellung der damit verbundenen Mühen. Daher ist die Leihgabe des Bergkristallkrugs aus dem Florentiner Museo degli Argenti an Wert kaum zu unterschätzen. Auf ihm enthalten ist die Inschrift des Kalifen al-´Aziz billah (reg. 975 – 996). Bei der vermuteten abenteuerlichen Reise von der geplünderten Kairoer Schatzkammer bis nach Venedig grenzt es an ein Wunder, daß dieses empfindliche Objekt seinen Reiseweg unbeschadet überstanden hat.

Als einer der Belege für die herausragende Stellung der islamischen Welt und ihrer Verdienste als Wissensvermittler antiken Gedankenguts stehen die arabischen Astrolabien zur Sternenbeobachtung und geographischen Standortbestimmung, deren Ursprünge auf das alte Griechenland zurückgehen. Vollständig erhalten ist das Astrolabium aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz aus dem 11. Jahrhundert aus dem islamischen Toledo.

Das sizilianische Palermo war der Kreuzungspunkt der römisch-katholischen, byzantinischen und islamischen Welt. Trotz verschiedener Herrschaften konnte sich bis in die Zeit der Normannen und Staufer eine islamische Kunsttradition erhalten, die die Stile aller Kulturen vereinte. Dafür steht der mit kunstvollen Ornamenten aus feinstem Granulat verzierte Schmuckkasten aus vergoldetem Silber, der später seinen Weg als Reliquiar nach Trier fand.

Die Hervorhebung islamischer Leistungen vor allem in der Wissenschaft und Philosophie gegenüber einem an der europäischen Peripherie stehenden Mitteleuropa in der Hildesheimer Ausstellung machen mehr als deutlich, wie sehr trotz aller guten Argumente der revisionistische Ansatz von dem Mediävisten Sylvain Gouguenheim („Aristoteles auf dem Mont Saint-Michel“), der vor dem Transfer aus dem Arabischen ältere und bedeutendere Übersetzungslinien aus Byzanz ausgemacht hat, inzwischen in der Versenkung verwunden ist, mit ihm andere Stimmen wie die seines Kollegen Darío Fernández-Morera, der des verklärenden Bild einer Annahme eines für Westeuropa notwendigen Transfers von angeblich verlorengegangenen Wissen aus dem Arabischen auf islamische Propaganda zurückführte. Wie gering ihre Chancen auf Anerkennung je waren unter den Bedingungen westlicher Einwanderungsgesellschaften, die verzweifelt darum bemüht sind, die konfliktträchtigen Folgen der Migration aus dem islamischen Raum in einen Gewinn umzudeuten, auch davon vermittelt die Ausstellung einen Eindruck.

Doch jenseits ihrer Instrumentalisierung für die transkulturelle Transformation Deutschlands in einen Vielvölkerstaat ist der Besuch der Ausstellung dennoch lohnend. Die kunstvoll gearbeiteten Objekte geben einen eindrucksvollen Einblick in das hohe Niveau in das Kunsthandwerk ihrer Zeit und die Denkvorstellungen ihrer Auftraggeber.

Die Ausstellung „Islam in Europa 1000-1250“ ist noch bis zum bis zum 12. Februar 2023 im Hildesheimer Dommuseum zu sehen. 

Ausstellungsband
Islam in Europa 1000-1250
352 Seiten; 35,- Euro

Dänemarks Eiserne Lady

Es ist heute kaum vorstellbar, daß ausgerechnet das kleine Dänemark im Spätmittelalter das Kernland eines ganz Skandinavien umfassenden Reiches war, das zu den bedeutendsten europäischen Regionalmächten seiner Zeit gehörte. Zu verdanken ist diese Leistung einer wahrhaft außergewöhnlichen Herrschergestalt. Hinter der Schaffung dieser Kalmarer Union genannten Verbindung stand kein Kriegsherr, sondern eine der bemerkenswertesten Herrscherinnen des Mittelalters, die dänische Königin Margarete I. (1353 – 1412).

 

Weiterlesen

Als jüngste Tochter des berüchtigten Dänenkönigs Waldemar IV. „Atterdag“ gelang es ihr nach dem Tod des Vaters 1375, ihren gerade mal sechs Jahre alten Sohn Olaf auf den Thron zu setzen, womit ihr die Rolle der Regentin zufiel. Nach dem Tod ihres Gemahls König Hakoon VI. vier Jahre später übernahm sie zusätzlich die Herrschaft über dessen Königreich Norwegen.

Nach langen Verhandlungen mit dem schwedischen Adel gelang es Margarete, auch Schweden auf ihre Seite zu ziehen. Nachdem ihr Sohn Olaf im Alter von 17 Jahren verstarb, übernahm die Rolle des Thronfolgers ihr an Sohnes statt adoptierter Großneffe Erik. Seine Krönung 1397 zum schwedischen König war der Beginn der Kalmarer Union, einem nordeuropäischen Imperium, das immerhin bis 1523 von Grönland über Island herunter bis kurz vor Hamburg und weiter bis zur Ostsee reichte.

Aus dänischer Produktion ist dieser Tage der Film „Die Königin des Nordens“ (2021) erschienen, der die Herrschaft Margaretes in den Mittelpunkt stellt. Er setzt an bei einem heiklen diplomatischen Unterfangen, einem Heiratsbündnis mit England, zu besiegeln mit der Ehe zwischen Erik und der kindlichen Prinzessin Philippa. Mitten in die Verhandlungen platzt ein Fremder in zerlumpter Gestalt. Seine kühne Behauptung: Er sei Olaf, der totgeglaubte Sohn Margaretes.

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Eine öffentliche Untersuchung versucht dem Anspruch des Fremden auf den Grund zu gehen. Von ihrem Ergebnis, wer „der einzig wahre König“ ist, hängt die Zukunft der Kalmarer Union und damit das Lebenswerk Margaretes ab.

Ein vielfaches Intrigenspiel beginnt. Hat der um die Herrschaft im Ostseeraum rivalisierende Deutsche Orden aus Preußen seine Finger mit im Spiel? Oder sind hier Adelige am Werk, die im Sinne ihrer selbstsüchtigen Interessen ihr eigenes Süppchen kochen? Das zersetzende Gift der Intrige beginnt zu wirken und droht, die fragile Union zu sprengen. Oder ist der Fremde tatsächlich Olaf? Margarete will nicht handeln wie eine Tyrannin: „Wir hängen niemanden, ohne zu wissen, wer er ist.“

Die preisgekrönte Schauspielerin Trine Dyrholm in der Hauptrolle der Margarete ist eine exzellente Besetzung, die perfekt eine Königin verkörpert, die hin- und hergerissen ist zwischen Staatsräson und Mutterliebe. Die Dramaturgie dieses düsteren Historiendramas um das zuweilen perfide Spiel der Macht wird verstärkt durch seine Einbettung in einer durchgehend im Low-Key aufgenommenen Atmosphäre, als ob im mittelalterlichen Nordreich Margaretes nie die Sonne scheint.

„Die Königin des Nordens“ ist einer der besten und sehenswertesten europäischen Produktionen der letzten Jahre, die sich kein Filmliebhaber entgehen lassen sollte. Das kleine Dänemark zeigt damit auf höchstem Niveau, wie Europa mit Hollywood mithalten kann.

Die Königin des Nordens
Mit Trine Dyrholm
2021; ca. 116 Minuten