Es gibt zwei Dinge in diesem Land, die nicht zusammenpassen. Da ist zum einen die immer wieder erhobene Behauptung von Vertretern der politischen und medialen Elite, „im besten Deutschland aller Zeiten zu leben“ (u.a. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier). Dem gegenüber steht ein demoskopisch gut abgesichertes Unbehagen weiter Teile der Bevölkerung, man könne nicht mehr frei und ungehindert seine Meinung sagen. Meinungsfreiheit – gilt die noch in Deutschland?
Einer der sich auf das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit beruft, ist der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp. Doch seine konträr zum Mainstream stehenden kritischen Ansichten zur Flüchtlingspolitik hatten für ihn unangenehme Konsequenzen. Nicht alleine sein Verlag Suhrkamp distanzierte sich von ihm. Dem einst für seinen Roman „Der Turm“ gefeierten Romancier haftet seitdem das Etikett „umstritten“ an, was Tellkamp wiederum als Auszeichnung empfindet. Aus dem Schriftsteller Tellkamp wurde der „Fall Tellkamp“.
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Auffallend ist, dass sein aktueller Roman „Der Schlaf in den Uhren“ – die Fortsetzung des „Turm“ – von den Feuilletons der Mainstreammedien ausnahmslos mit teils heftigen Verrissen bedacht wurde, so als wolle man dem weitverbreiteten Eindruck der Leserschaft eines engen Meinungskorridors unbedingt Bestätigung verschaffen. Dem Erfolg des Buches tat das keinen Abbruch, im Gegenteil: Es bestätigte sich wieder einmal die Regel, daß einhellige Verrisse der Literaturkritik oft die besten Kaufempfehlungen sind.
Am vergangenen Sonntag nutzte Tellkamp die Gelegenheit, im Rahmen der Ettersburger Gespräche seinen Roman „Der Schlaf in den Uhren“ vorzustellen. Man muß das Buch vor allem als ein Wagnis bezeichnen. Ein Umfang von 900 Seiten voller surrealistischer Allegorien machen den Titel nicht gerade zu einem leichtflüssig zu lesendem Schmöker. Zwei Zeitebenen von der Wende bis zur Migrationskrise 2015 – verlagert in den fiktiven Staat Trevia – umfassen einen Plot, in dem sich der bereits im „Turm“ auftauchende Protagonist des Chronisten Fabian Hoffmann bewegt, der dabei keineswegs ein Alter Ego seines Schöpfers ist.
Es dürfte sich derzeit wohl kaum ein komplexeres Werk im aktuellen Buchhandel finden als „Der Schlaf in den Uhren“. Doch die Kritik hielt sich nicht an diesen Formalien fest, sondern an dem Plot, der beim Leser unschöne Assoziationen weckt zwischen der heutigen Bundesrepublik und der DDR: „Jetzt wagt er sich über die Bundesrepublik zu schreiben“, so Tellkamp die Kritik paraphrasierend im Gespräch mit Dr. Peter Krause, dem Direktor von Schloss Ettersburg.
Tellkamp warf der Kritik vor, nicht das Buch zu rezensieren, sondern den Autoren: „Man schließt von der politischen Einstellung auf das Kunstwerk.“ Tellkamps Absicht sei es gewesen, einen Zeitroman zu schreiben und keinen Gesellschaftsroman. Offenkundig sind die Inspirationen durch Tomas Manns „Zauberberg“, aber vor allem erklärtermaßen durch „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Ihm ginge es um den Sprachgebrauch der Politikerzählung, ihrer Sprachbühne und -theater. „Mit dem klassischen Erzählen“, so Tellkamp, „erfassen Sie nur Teile unserer Zeit.“
Wie ist das zu verstehen? Tellkamp erläuterte das an dem Terminus „Operative Vorgänge“, mit dem die DDR-Staatssicherheit ihre Zersetzungsmaßnahmen umschrieb und den Tellkamp in seinem Buch von seiner seinerzeitigen Begrifflichkeit zu lösen versuchte, „um von der Staatssicherheit das Konkrete herauszuarbeiten und in die Ewigkeit zu übertragen“.
War es hintergründige, boshafte Ironie, als Tellkamp auf Nachfrage aus dem Publikum mit einem vielsagenden Lächeln die Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag mit „gut – trotz Irritationen“ kommentierte? Das neue Buch sei, so Tellkamp, ein typisches Suhrkamp-Buch. Tellkamp fragte zurück, wo denn das Buch stattdessen hätte erscheinen sollen? Die Antwort: „Jedenfalls nicht im Fischer Verlag“, hingegen keineswegs ironisch auf den Rauswurf von Monika Maron aus jenem Verlag anspielend.
„Die Bücher haben ihr eigenes Schicksal“, so Tellkamp zur Rezeption seiner Werke. „Der Turm“ sei im Westen besser aufgenommen worden als im Osten, während es beim „Der Schlaf in den Uhren“ genau umgekehrt sei, was beide Bücher wie zu Zwillingen mache.
Doch wie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland und wie verhält sich dazu der „Fall Tellkamp“? „Meine Meinung darf ich sagen“, so Tellkamp: „Interessant wird es, was hinterher passiert…“ Der Autor beklagte, daß er über die vielen Rechtfertigungen keine Arbeitsruhe mehr habe. Geradezu ernüchternd und schockierend seien die Vorkommnisse anläßlich seiner Lesungen im Westen, wo beispielsweise über Fake-Accounts versucht wurde, den Kartenvorverkauf zu sabotieren. Doch wie einen Hoffnungsschimmer habe es auch Beispiele zivilcouragierter Unterstützung gegeben.
Dem gegenüber stellte Tellkamp den ostdeutschen Schriftsteller Ingo Schulze, für den es kein Problem darstelle für „Die Linke“ zu kandidieren, „aber wie ein Fürst zu leben“.
Am Ende spannte Tellkamp unter dem anhaltenden Beifall der mit rund 130 Gästen ausverkauften Veranstaltung im Gewehrsaal des Weimarer Schlosses Ettersburg mit einem bemerkenswerten Satz den Bogen von seinen persönlichen Erfahrungen in der DDR zu heute: „Uwe, du hast den falschen Klassenstandpunkt.“
Uwe Tellkamp Der Schlaf in den Uhren Suhrkamp Verlag 2022, 904 Seiten, 32,- Euro
„Wenn meine Arbeit nicht misslungen ist, habe ich erzählt, was mit Menschen geschieht, wenn sie Verhältnissen unterworfen sind, in denen sie eine relative materielle Sorglosigkeit mit ihrer geistigen Freiheit bezahlen.“ (Monika Maron)
Es war einer der spektakulärsten Fälle von Cancel Culture in den letzten Jahren, einem Phänomen, das es angeblich in Deutschland gar nicht gibt: Der Ende 2020 vorgenommene, ungnädige Rauswurf der Erfolgsschriftstellerin Monika Maron aus dem S. Fischer Verlag, der sie seit Jahrzehnten in ihrer publizistischen Arbeit betreute. Dem vorausgegangen war ein längerer, durchaus gegenseitiger Entfremdungsprozeß, den Maron vor allem mit ihren zunehmend „galligen“ Essays über Fehlentwicklungen in Deutschland, vor allem über die Islamisierung, beförderte. Auch wurde man dort offenbar mit ihren letzten Romanen „Artur Lanz“ und „Munin oder Chaos im Kopf“ nicht mehr so recht warm. Ebenso wurde ihr ihre Freundschaft zur Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die sie mit einem Essayband gemeinsam mit anderen „rechtsverdächtigen Abweichlern“ in ihre Buchreihe „Exil“ aufnahm, als Kontaktschuld zur Last gelegt. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, und mit Hoffmann und Campe sprang ein anderer renommierter Verlag in die Lücke. Pünktlich einen Monat vor ihrem 80. Geburtstag am heutigen 3. Juni 2021 erschien unter ihrem neuen Flaggschiff ihr zu Ehren der Band „Was ist hier eigentlich los?“, der ihre bedeutendsten Essays aus den letzten Jahrzehnten versammelt.
Doch hier soll es nicht um diesen Essay-Band gehen. Das Jubiläum ist Anlaß, um das Werk zu betrachten, mit dem die Erfolgsgeschichte der Schriftstellerin Monika Maron begann: „Flugasche“.
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Monika Maron Flugasche: Roman Fischer Taschenbuch 256 Seiten; 15,00 Euro
Als „Flugasche“ 1981 in Westdeutschland erschien, lebte Maron noch in der DDR. In diesem Roman verarbeitete sie ihre Erfahrungen, die sie wenige Jahre zuvor als Reporterin der Ost-Berliner Wochenpost mit einem Bericht über das berüchtigte Chemierevier Bitterfeld machte. Die die Industriewerke versorgenden Kraftwerke hatten keine ausreichenden Staubfilter, so daß viele der in der Kohlenasche enthaltenen Schwermetallverbindungen durch die Schornsteine ausgestoßen wurden. Die aus dem Verbrennungsprozeß und entstandenen Stickstoffoxide erzeugten zusammen mit der nicht vorhandenen Entschwefelung jenen „sauren Regen“, der die Wälder im Erzgebirge zu Stangenhölzer verkümmern ließ; von den gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung ganz zu schweigen.
An dieser Stelle möchte ich – quasi als kleinen Exkurs – meine eigenen Erfahrungen über die desaströse Umweltbilanz der DDR einschieben. Kurz nach der Wende erhielt das Büro, für das ich damals tätig war, den Auftrag die Vorarbeiten für den Bau einer neuen Kläranlage für eine Stadt – nennen wir sie Q. – im wiedergegründeten Bundesland Sachsen-Anhalt zu leisten. Auf dem Gelände der bisherigen Abwasserentsorgung wurde eine automatisierte Anlage zur Probeentnahme des einströmenden Abwassers eingerichtet, um so die Größenordnung der neu zu bauenden Kläranlage zu ermitteln.
Das bis dahin vorhandene System der Abwasserentsorgung von Q. primitiv zu nennen, wäre noch eine Untertreibung. Über ein marodes Verteilsystem wurde das Abwasser in verschiedene Klärteiche geleitet. War ein Teich voll, wurde der Schieber zum nächsten Teich geöffnet. Die rostzerfressenen Rohre des Schutzgeländers um das Verteiler- und Pumpsystem wurden im Inneren von Weidenstöcken notdürftig vor dem Abbrechen bewahrt. Der nach der Verdunstung und Versickerung des Wassers zurückgebliebene Trockenschlamm, der ohne jede Grobsiebung noch alles enthielt, was er mit sich geführt hat, wurde auf meterhohe Halden aufgetürmt. Direkt daneben wurde Feldwirtschaft betrieben.
Um die Mittagszeit kam es täglich zu einem merkwürdigen Phänomen. Das Abwasser nahm im Gerinne eine milchig weiße Färbung unbekannter Zusammensetzung an. Der Wassermeister konnte keine Auskunft über die Ursache abgeben, stellte aber fest, daß zur Vorwende-Zeit die Färbung noch ausgeprägter war. Welcher Produktionsbetrieb auch immer dafür verantwortlich war, der wirtschaftliche Einbruch machte sich bereits hierbei sichtbar.
Überhaupt war das Abwasser dieser Stadt eine bizarre Mischung. Bei einer Zufallsstichprobe aus dem Kanalsystem offenbarte bereits eine sensorische Inaugenscheinnahme der schillernden Farben und des beißenden Gestanks nach Lösemitteln ohne jede komplexe chemische Analyse, was für eine extreme Giftbrühe man vor sich hatte. Doch das erstaunlichste ist, daß an der Stelle der Entsorgungsruine noch zur Zeit des Kaiserreichs eine hochmoderne Anlage mit einem villenartigen Betriebsgebäude stand, die man für diese Zeit nicht erwartet hätte! Die Inschrift einer verwitterten, heute nicht mehr vorhandenen Mauer erinnerte noch an ihre Errichtung in den Jahren 1907-09. Erst die Einführung synthetischer Waschmittel in der Nachkriegszeit und ihre Vernachlässigung in der DDR gaben der Anlage den Rest. Der durch die Stadt strömende Fluß, der zu den idyllischsten der Region gehörte – was gottseidank heute wieder der Fall ist -, war bereits Anfang der 1950er Jahre ein totes Gewässer, nachdem die sowjetische Besatzungsmacht ihre Politik der Kriegsreparationen durch Demontage beendet hatte. Seither galt auch für die „verbündete“ DDR die Überlegenheit des Sozialismus mittels Industrialisierung, ohne Rücksicht auf ökologische Verluste, zu demonstrieren.
Wer also glaubt, es gäbe einen systemimmanenten Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Umweltzerstörung, und daher „alternative Modelle“ unter so wohlklingenden Namen wie „Ökosozialismus“ befürwortet, der sollte sich vor Augen halten, wie weit die DDR mit solchen Utopien gekommen ist. Auch aus Perspektive des Umweltschutzes war der Zusammenbruch der DDR ein großer Segen.
Doch zurück zu „Flugasche“. Maron stellt weniger die Bitterfelder Zustände in den Mittelpunkt ihrer Geschichte, sondern den Kampf ihrer Protagonistin Josefa Nadler, in der Illustrierten Woche eine Reportage über „die schmutzigste Stadt Europas“ zu publizieren. Mit ihrer Beharrlichkeit, die Mißstände in Bitterfeld aufzuzeigen, eckt Josefa, alleinerziehende Mutter eines heranwachsenden Jungen, in der Redaktion an. Josefa verweigert sich, die Beschreibungen ihres Textes zu relativieren. Es wäre zum Preis einer Selbstverleugnung, den sie nicht leisten will.
Doch das absichtsvolle Beschweigen der Wahrheit, die Unterordnung unter die bestimmende Linie der Partei führt zu einem Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, den selbst den selbst eine überzeugte Idealistin wie Josefas Kollegin Luise einer schweren inneren Belastungsprobe unterzieht:
„Luise war Kommunistin, und ihr ideelles Bekenntnis galt der Befreiung aller Unterdrückten und Ausgebeuteten. Als Ergebnis ihrer Arbeit lag aber Woche für Woche eine Zeitung vor, die ihr nicht gefiel und denen nicht, für die sie gemacht wurde, in der verschwiegen wurde, wovon Luise hätte sprechen müssen, in der nichts zu lesen war über Flugaschekammern, verätzte Bäume und vergessene Städte.“
Josefas Entschluß, sich in einem Beschwerdebrief über die Mißstände an die staatlichen Stellen zu wenden, hat für sie drastische Konsequenzen. Die Parteigruppe der Redaktion unterzieht sie einem inquisitorischen Tribunal, „wie man der Genossin helfen könne“. Es ist die Gelegenheit zu kleinlicher Abrechnung selbst banaler Animositäten, die sich in Orwellscher Begriffsverdrehung als „wohlmeinende Kritik“ tarnt, die nur eines zum Ziel hat: den Menschen zu brechen. Josefas Reaktion, noch bevor endgültig über ihren Ausschluß aus der Partei entschieden wird, ist der vollständige Rückzug aus Partei und Redaktion.
Fiktiv und doch autobiographisch – was Monika Maron in „Flugasche“ verarbeitete, sind ihre eigenen Erfahrungen als Reporterin in Ost-Berlin. Nachdem sie das Manuskript beim Greifenverlag in Rudolfstadt eingereicht hatte, ließen sich die staatlichen Genehmigungsstellen sehr viel Zeit mit der Prüfung. Frustriert von diesem jahrelangen Nervenkrieg, reichte sie es über einen von einem Mittelsmann eingefädelten Kontakt beim westdeutschen Fischer Verlag ein, der es 1981 veröffentlichte. Eine sinnvolle Zukunft in der DDR hatte Maron danach nicht mehr zu erwarten. Sie siedelte 1988 in die Bundesrepublik über und setzte dort ihre Schriftstellerkarriere erfolgreich fort.
Mehr als 40 Jahre nach Erscheinen von „Flugasche“, mehr als 30 Jahre nach der Wende sind die desaströsen ökologischen Zustände in Bitterfeld ein Fall für die Geschichtsbücher. Und doch besitzt der Roman eine beklemmende Aktualität in der Beschreibung frappierend ähnlicher „medialer Bewußtseinsvermittlung“ in der DDR damals und in der Bundesrepublik Deutschland heute. Wer findet in Passagen wie dieser nicht das Credo des postmodernen Haltungsjournalismus wieder, dessen Vertreter vor nichts mehr Angst zu haben scheinen, als etwas zu berichten, was den „Falschen“ nützt:
„Ich habe mir fast schon abgewöhnt, öffentlich über Alternativen zu reden, Gedanken auszusprechen, deren Undruckbarkeit ich ermessen kann. Wozu auch? Ich weiß vorher, was man mir antworten würde, und es hängt mir zum Halse heraus: Damit lieferst du dem Gegner die Argumente. Du kannst alles schreiben, wenn du es nur richtig einordnest.“
Auch heute finden sich Beispiele zuhauf, wie die „Wahrheit hinter schönen Sätzen [versteckt]“ wird. Da wird der Massenansturm auf Deutschland 2015 zur „hohen Zuwanderung“ verniedlicht, da wird ein judenfeindliche Parolen skandierender Mob zu einem Haufen „erlebnisorientierter Jugendlicher“ und so wie Josefa Nadler einen „Helden der Arbeit“ aus dem schmutzigsten Loch Bitterfelds porträtiert, um die humanitäre Arbeitswelt im Sozialismus zu belegen, werden Einzelbeispiele erfolgreicher Zuwanderer zu Wegmarken gelungener Integration und „bunter“ Gesellschaft hochgeschrieben.
Wie sehr sich in der „Bewußtseinsindustrie“ (Hans-Magnus Enzensberger) die Verhältnisse unter den informellen Vorgaben der political correctness denen der von Maron in der totalitären DDR erlebten fast schon beliebig nahe angeglichen haben, zeigt sich bei Birk Meinhardt, der desillusioniert in seinem Buch „Wie ich meine Zeitung verlor“ über seine journalistische Laufbahn nach der Wende durch die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet. Auf die ablehnende Kritik seines Vorgesetzten zu einem Text über einen Angehörigen der rechten Szene, der von der Justiz zu Unrecht eines Gewaltverbrechens beschuldigt wurde, schreibt ihm Meinhardt zurück:
„Die Rechten, sagen Sie, könnten meine Geschichte für ihre Zwecke nutzen. Das ist, warten Sie mit der Empörung, genau das Argument, das ich in meinem ersten Leben, als junger Journalist in der DDR, oft, zu oft gehört habe. Deine Kritik hier, hieß es, mag ja berechtigt sein, aber sie könne dem Klassenfeind zupaß kommen, also lassen wir das bleiben.“
Und auch hier wieder der Bezug zu Monika Maron, der kaum ein Zufall sein kann: Beiden gemeinsam ist die sinnesschärfende Prägung durch die DDR. Meinhardt erlebte diese Zeit zwar nicht als Dissident, aber kam aus ihr heraus mit der Erfahrung eines Systems, das auch daran zusammenbrach, weil es nicht imstande war, seine Defizite und Mißstände in den Medien adäquat darzustellen und sich stattdessen zu Verlogenheit und Schönfärberei verstieg.
Und Maron selbst schrieb zuletzt in ihrem Essay „Unser galliges Gelächter“:
„Kürzlich erzählte ich einem Freund, ich fühlte mich beim Schreiben zuweilen wie früher, als ich mein erstes Buch Flugasche geschrieben habe, wieder gedrängt ins Politische, weil es mich jeden Tag umtreibt, und bedrängt von dem Gedanken, was ich mir wohl einbrocke, wenn ich einen Protagonisten meines Buches diesen oder jenen Satz sagen lasse. Der Freund war empört: Wie ich die Bundesrepublik mit der DDR vergleichen könne und ob ich noch ganz bei Verstand sei. Es liegt mir fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen. Weder fürchte ich, mein Buch könnte wie in der DDR verboten werden, noch halte ich für möglich, daß ich juristisch belangt werden könnte. Und trotzdem habe ich dieses Gefühl.
Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Verdächtigungen um sich werfen darf, sobald das, was sie als Wahrheit ausgibt, in Frage gestellt wird.“
Es ist hierbei besonders passend, daß dieser Essay 2019 erstmals in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) erschienen ist, die von Hans-Georg Maaßen, dem früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aufgrund ihrer offenen Berichterstattung über die Zustände in Deutschland mit dem früheren Westfernsehen vergleichen wurde, aus dem sich die DDR-Bürger gleichermaßen über ihr Land informieren konnten.
„Flugasche“, die von einem maroden Kraftwerk ausgestoßene stoffliche Substanz hoher Toxizität, ist somit auch als Metapher zu verstehen, als Metapher für die Geisteshaltung eines Machtapparats, die sich „als ideologisch intendierter Konformitäts- und Normierungsdruck auf immer mehr Lebensbereiche [legt]“ (Thorsten Hinz).
Ihre kritischen Äußerungen zum sich verengenden Meinungskorridor und zu den Folgen einer drohenden Islamisierung, ihre Kontakte mit den „falschen“ Leuten sowie die letzten Veröffentlichungen haben Maron das zur Abschreckung gedachte Etikett „umstritten“ eingebracht. Doch was heute ein umstrittener Schriftsteller ist, signalisiert tatsächlich einen Charakter, der etwas mitzuteilen hat, dessen Gedanken Wagnisse darstellen, der nicht vor dem Zeitgeist kapituliert.
Frau Monika Maron, alles Gute zu Ihrem 80. Geburtstag!
Monika Maron Was ist eigentlich los? Ausgewählte Essays aus vier Jahrzehnten 192 Seiten; 22,- Euro