© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. October 2024
„Faschistischer Sprech“
Ideologische Schranken: Der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ geht ausgerechnet an die Publizistin Carolin Emcke
Daniel Körtel
Der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ ist sicher nicht der bedeutendste Preis, der in Deutschland verliehen wird. Doch immerhin getragen von einem Verein aus der Bürgerschaft der nordhessischen Region und nicht von der Parteipolitik oder staatlichen Institutionen, zeichnet der erstmals 1991 unter dem Eindruck des Falls des „Eisernen Vorhangs“ gestiftete und mit 20.000 Euro dotierte Preis – symbolisiert durch eine Glasprisma-Skulptur – jedes Jahr Persönlichkeiten und Institutionen aus, „die mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Überwindung ideologischer Schranken, Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden – in besonderer Weise dienen“. In diesem Jahr ging der Preis an die linksliberale Publizistin und Kolumnistin der Süddeutschen Zeitung Carolin Emcke.
In seiner Begründung teilte der Förderverein mit, Emcke erhalte den Preis „für die analytische Präzision und besonnene Haltung, mit der sie ein universalistisches Wir freilegt und den demokratischen Kompaß in dichten wie unruhigen Zeiten ausrichtet.“ Sie spreche eine Sprache, die Haß und Gewalt etwas entgegensetzen könne. Emckes umstrittener Auftritt auf der Digitalkonferenz re:publica im vergangenen Juni stand der Preisverleihung offenbar nicht entgegen. Dort hatte sie – ganz entgegen den Werten der Aufklärung – die kategorische Abschaffung von Pro-und-Kontra-Diskussionen gefordert.
Zum Festakt am vergangenen Sonntag im Opernhaus des Kasseler Staatstheaters dominierte in den Redebeiträgen und Grußworten die Sorge vor „der Gefährdung unserer Demokratie“, vor allem durch rechte Parteien, festgemacht an der chaotisch verlaufenden konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages in der vergangenen Woche.
In ihrer Festrede lobte Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, die Preisträgerin als jemanden, die „die Latte hochlegt und es sich selbst nicht einfach macht“. Im Hinblick auf die Erfolge von AfD und FPÖ warnte sie: „Jede Zeit hat ihren eigenen Faschismus.“
Der Philosoph Martin Saar (Goethe-Universität Frankfurt am Main) arbeitete in seiner Laudatio heraus, wie aus seiner Sicht im Schreiben der an Jürgen Habermas geschulten, promovierten Philosophin die Vernunft im Diskurs und in der Kommunikation entstehe.
In ihrer Dankesrede kritisierte Emcke die verbreitete Angst vor der „angeblichen Bedrohung“ von Abendland und Heimat durch die anhaltende Migration. In ihrer Idealvorstellung von „Demokratie als offenem Prozeß“ griff sie analog auf die „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach zurück, ein unvollendetes und fragmentarisches Werk. Der Korpus an Grundregeln darin stehe für die Grundrechte und die Menschenwürde, die die „Feinde der Demokratie“ aushöhlen wollten. Weiterhin beklagte sie „die Pathologie unserer Zeit und in Europa, daß sie Verschiedenheit nicht aushalten kann“ und sagte schließlich unter dem Beifall des begeisterten Publikums: „Das Reden von normalen Leuten ist faschistischer Sprech.“