Karriere zwischen Glück und Talent

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 5/25 / 24. January 2025

Karriere zwischen Glück und Talent
Filmgeschichte: Vor hundert Jahren wurde der Hollywood-Schauspieler Paul Newman geboren

Daniel Körtel

Wie sehr kann doch der Zufall den Erfolg eines Lebenswegs bestimmen. Als Paul Newman nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Kenyon College in Ohio eine Ausbildung anstrebte, war Schauspiel nicht seine erste Wahl. Erst der Rauswurf aus dem Footballteam nach einer Studentenschlägerei brachte ihn zur Theatergruppe. Zwar hatte er vorher schon erste Schauspielerfahrungen gesammelt, doch erst hier sollte sich sein Talent, das ihn auf einen Karriereweg zu den Größten Hollywoods führen sollte, voll entfalten.

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Geboren wurde Paul Newman am 26. Januar 1925, vor genau 100 Jahren, in Shaker Heights, einer Vorstadt von Cleveland. Sein Vater war ein alteingesessener Geschäftsinhaber für Sportartikel, während seine Mutter in ihren Jugendjahren aus Habsburg-Österreich einwanderte. Die Familie war wohlhabend und schaffte es sogar unbeschadet durch die schweren Jahre der Weltwirtschaftskrise. Die jüdische Herkunft väterlicherseits – seine Mutter war eine „atheistische Katholikin“ – spielte in der säkular eingestellten Familie keine Rolle. Sie versperrte ihm jedoch aufgrund eines in dieser Zeit weitverbreiteten Antisemitismus manche Wege.

Am Kenyon College der freien Künste zeigte sich, wie sehr Newman – zu seiner eigenen Überraschung – mit seinem guten Aussehen und der energiegeladenen Bühnenpräsenz das Publikum in seinen Bann ziehen konnte. Erste Theaterengagements, auch am Broadway, machten Hollywood auf ihn aufmerksam. Der Durchbruch kam 1958 mit dem Erfolg des Südstaatendramas „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, das ihm eine erste Oscar-Nominierung eintrug. Weitere Kassenschlager folgten, und Newman zählte mit Richard Burton und Liz Taylor zu den ersten Schauspielern mit Millionengage.

YT: Tailer „Die Katze auf dem heißen Blechdach“

Newman sprach vor allem zwei Gruppen an: mit seinem Sexappeal die amerikanischen Frauen und seiner souverän-lässigen Art die amerikanischen Männer, wie sie sich am liebsten sahen. So wie in „Der Unbeugsame“ (1967), in welchem Newman einen Sträfling darstellte, der sich gegen ein rigides Gefängnissystem zur Wehr setzt.

Ab den siebziger Jahren war Newman soweit etabliert, daß er sich die Rollen freier aussuchen konnte. Es trieb ihn dabei stärker ins Charakterfach. Ein Höhepunkt war dabei „The Verdict“ von 1982, in welchem er die Rolle eines heruntergekommenen, alkoholkranken Anwalts in einem Schadensersatzprozeß übernahm. In diesem Meisterwerk von Sidney Lumet übertraf er sich selbst, indem er in einer Art Selbstoffenbarung viele seiner eigenen Emotionen preisgab. Wieder wurde er für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert – und wieder ging er leer aus.

Auf sich selbst hatte er immer den kritischsten Blick

Die begehrte Trophäe erhielt er dennoch wenige Jahre später für „Die Farbe des Geldes“ (1986), ein spätes Sequel seines Dramas „Haie der Großstadt“ (1961) um einen um Geld spielenden Poolbillardspieler. Zusammen mit dem damals noch jungen und aufstrebenden Tom Cruise wirkte der Film von Martin Scorsese wie eine Staffelübergabe zweier Schauspielgenerationen.

Gleichwohl blieb Newmans Privatleben nicht von persönlichen Tragödien verschont. Scott, sein Sohn aus erster Ehe, starb 1978 an einer Überdosis Drogen. So verband ihn mit anderen Hollywood-Größen seiner Generation wie Marlon Brando und Gregory Peck das problembeladene Verhältnis zu einem Sohn, der anscheinend an der schweren Bürde seines berühmten Vaters zugrunde ging.

Zunehmend problematisch entwickelte sich sein exzessiver Alkoholkonsum, bis er kurioserweise durch seine Rolle im Film „Indianapolis“ (1969) in Autorennen den passenden Ersatzkick gefunden hatte, „weil die Ergebnisse so wunderbar eindeutig waren“. Mehrfach nahm er an Spitzenpositionen bis in seinen Siebzigern an bedeutenden Rennen wie in Daytona und Le Mans teil.

Bekannt wurde Newman auch für sein großzügiges karitatives Engagement, oftmals anonym. Seine Kreation „Newman’s Own“, ein mit seinem Namen und Bild auf den Flaschen versehenes Salatdressing, erbrachte Millionengewinne, die vollständig wohltätigen Zwecken zugute kamen. Und obgleich er sich selbst als „emotionalen Republikaner“ empfand, unterstützte er die Bürgerrechtsbewegung sowie den linken Demokraten und Nixon-Gegenspieler Eugene McCarthy.

Als Newman 2008 im Alter von 83 Jahren verstarb, ging mit ihm einer der größten Titanen Hollywoods, der frei von schmutzigen Skandalen blieb, integer und ohne jede Eitelkeit. Auf sich selbst hatte er jedoch immer den kritischsten Blick, so daß man von einem „Hochstapler-Syndrom“ sprechen muß, von jemande, der sein Können chronisch unterbewertet, seine Leistungen mehr dem Glück als seinem Talent zuschreibt und so als unverdient betrachtet. Vielleicht liegt hierin eine der tieferen Wurzeln seines philanthropischen Engagements, als ginge es ihm darum, etwas wiedergutzumachen. Über ihn selbst sagte später seine Tochter Melissa: „Da war jemand, der sich für einen Hochstapler hielt, für einen ganz normalen Mann mit einem außergewöhnlichen Gesicht, der das Glück auf seiner Seite hatte und weit mehr erreichte, als er sich überhaupt vorgestellt hat.“

Paul Newman
Das außergewöhnliche Leben eines ganz normalen Mannes: Die Autobiografie
Heyne Verlag
368 Seiten, 2022
25,00 EUR

„Faschistischer Sprech“

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. October 2024

„Faschistischer Sprech“
Ideologische Schranken: Der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ geht ausgerechnet an die Publizistin Carolin Emcke

Daniel Körtel

Der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ ist sicher nicht der bedeutendste Preis, der in Deutschland verliehen wird. Doch immerhin getragen von einem Verein aus der Bürgerschaft der nordhessischen Region und nicht von der Parteipolitik oder staatlichen Institutionen, zeichnet der erstmals 1991 unter dem Eindruck des Falls des „Eisernen Vorhangs“ gestiftete und mit 20.000 Euro dotierte Preis – symbolisiert durch eine Glasprisma-Skulptur – jedes Jahr Persönlichkeiten und Institutionen aus, „die mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Überwindung ideologischer Schranken, Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden – in besonderer Weise dienen“. In diesem Jahr ging der Preis an die linksliberale Publizistin und Kolumnistin der Süddeutschen Zeitung Carolin Emcke.

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In seiner Begründung teilte der Förderverein mit, Emcke erhalte den Preis „für die analytische Präzision und besonnene Haltung, mit der sie ein universalistisches Wir freilegt und den demokratischen Kompaß in dichten wie unruhigen Zeiten ausrichtet.“ Sie spreche eine Sprache, die Haß und Gewalt etwas entgegensetzen könne. Emckes umstrittener Auftritt auf der Digitalkonferenz re:publica im vergangenen Juni stand der Preisverleihung offenbar nicht entgegen. Dort hatte sie – ganz entgegen den Werten der Aufklärung – die kategorische Abschaffung von Pro-und-Kontra-Diskussionen gefordert.

Zum Festakt am vergangenen Sonntag im Opernhaus des Kasseler Staatstheaters dominierte in den Redebeiträgen und Grußworten die Sorge vor „der Gefährdung unserer Demokratie“, vor allem durch rechte Parteien, festgemacht an der chaotisch verlaufenden konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages in der vergangenen Woche.

In ihrer Festrede lobte Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, die Preisträgerin als jemanden, die „die Latte hochlegt und es sich selbst nicht einfach macht“. Im Hinblick auf die Erfolge von AfD und FPÖ warnte sie: „Jede Zeit hat ihren eigenen Faschismus.“

Der Philosoph Martin Saar (Goethe-Universität Frankfurt am Main) arbeitete in seiner Laudatio heraus, wie aus seiner Sicht im Schreiben der an Jürgen Habermas geschulten, promovierten Philosophin die Vernunft im Diskurs und in der Kommunikation entstehe.

In ihrer Dankesrede kritisierte Emcke die verbreitete Angst vor der „angeblichen Bedrohung“ von Abendland und Heimat durch die anhaltende Migration. In ihrer Idealvorstellung von „Demokratie als offenem Prozeß“ griff sie analog auf die „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach zurück, ein unvollendetes und fragmentarisches Werk. Der Korpus an Grundregeln darin stehe für die Grundrechte und die Menschenwürde, die die „Feinde der Demokratie“ aushöhlen wollten. Weiterhin beklagte sie „die Pathologie unserer Zeit und in Europa, daß sie Verschiedenheit nicht aushalten kann“ und sagte schließlich unter dem Beifall des begeisterten Publikums: „Das Reden von normalen Leuten ist faschistischer Sprech.“

www.glas-der-vernunft.de

Sozi alter Schule

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Christian Geselle. Der Kasseler OB hat von seiner SPD die Nase voll und tritt gegen die eigene Partei zur Wahl an.
Sozi alter Schule
Daniel Körtel

Jetzt hat auch die SPD ihren Boris Palmer. Christian Geselle tritt am 12. März als Amtsinhaber zur Oberbürgermeisterwahl in Kassel nicht für die SPD an, sondern als unabhängiger Kandidat. Dem vorausgegangen ist der Bruch der rot-grünen Rathaus-Koalition und nachfolgend ein Zerwürfnis des OB mit der vom linken Flügel dominierten Führung der Kasseler Sozialdemokraten.

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In den Vorgängen zeigt sich ein strategisches Problem der SPD in Westdeutschland: Der Höhenflug der Grünen hat diese auch auf kommunaler Ebene auf Augenhöhe zur SPD gebracht. Vielfach lassen sie nun ihre Muskeln spielen und testen bis zur Übergriffigkeit, was ihnen möglich ist. Doch treffen sie auf ein selbstbewußtes Gegenüber wie Geselle, kommt es zum Knall. In Kassel hat den ein Streit um die Verkehrspolitik ausgelöst. Allerdings war Geselle ohnehin nie ein Freund der Grünen. Nach eigenem Bekunden sieht sich der 46jährige Ex-Polizist als Sozialdemokrat alter Schule, in der Tradition des früheren hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner, der sich 1982 ja gewünscht hatte, die Grünen „wie auf dem Bau … mit der Dachlatte“ zu bearbeiten.

Geselle und Palmer wären damit Repräsentanten eines der ungewöhnlichsten Politik-Modelle Deutschlands.

Geselle ist sich jedoch bewußt, daß er mit seinem Selbstverständnis einer, obendrein schwindenden, Minderheit in der SPD angehört. Auch in seiner Vaterstadt, mit 200.000 Einwohnern die drittgrößte des Landes, bildet sich die chronische Spaltung der hessischen SPD ab: in einen „rechten“, sich pragmatisch nennenden Flügel, der sich vor allem durch seine Wirtschaftsnähe auszeichnet, und einen immer stärkeren linken Flügel, der nach dem Bruch mit den Grünen erfolgreich eine von Geselle angestrebte Koalition mit der CDU hintertrieb. Damit war allen Vermittlungsbemühungen zum Trotz das rote Tischtuch zwischen OB und der Parteiführung zerschnitten, und im Herbst erklärte Geselle, bei der Wahl im Frühjahr als unabhängiger Kandidat anzutreten. Komplettiert wurde das Desaster für die SPD durch die Bildung einer Jamaika-Koalition, die der Partei in ihrer einstigen Hochburg auf lange Zeit die Chance auf eine Machtoption zu verbauen droht.

Gegen Geselle treten fünf Mitbewerber an, darunter auch die Kandidatin der SPD, die vom früheren Landesvater und Bundesfinanzminister Hans Eichel unterstützt wird. Zwar sind alle weit weniger qualifiziert als der erfahrene Verwaltungsjurist, der seit 2017 im Rathaus residiert, doch der hat auch die Lokalmedien gegen sich, und zudem läuft inzwischen ein Parteiausschlußverfahren gegen ihn.

Doch angesichts seiner Popularität sind die Chancen hoch, den Erfolg Boris Palmers in Tübingen bereits im ersten Wahlgang zu wiederholen. Sollte das gelingen, wäre es ein weiterer Beleg dafür, daß die These, urbane Milieus gingen vor allem mit linken Werten einher, auf deutlich schwächeren Füßen steht, als meist behauptet. Vielleicht ticken ja auch Städter konservativer als gedacht.

Geselle und Palmer wären dann Repräsentanten eines der ungewöhnlichsten Politik-Modelle in der postmodernen Unübersichtlichkeit der Bundesrepublik: ein direkt gewähltes Stadtoberhaupt, das einer großen Ratsmehrheit einschließlich ihrer eigenen Partei gegenübersteht, deren gemeinsamer Nenner wiederum die tiefe Abneigung gegen den Mann an der Spitze ist.

Mystische Klangreise

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04/22 / 21. Januar 2022

CD-Kritik: Emily D’Angelo – Enargeia
Mystische Klangreise
Daniel Körtel

Trotz ihres recht jungen Alters von gerade einmal 27 Jahren hat es die in Toronto geborene Sängerin Emily D’Angelo bereits in die bedeutendsten Konzerthäuser der Welt geschafft, nach New York, Paris, London, Zürich, Berlin, zuletzt auch an die Bayerische Staatsoper in München. 2019 erhielt sie den renommierten Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festival. Nun hat die aufstrebende Mezzosopranistin bei der Deutschen Grammophon ihr Debütalbum „Enargeia“ veröffentlicht.

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Die darin enthaltene Titelliste von zwölf Gesangsstücken schlägt einen weiten Bogen von der Äbtissin, Dichterin und Mystikerin des Mittelalters, Hildegard von Bingen, hin zu den Komponisten der modernen Klassik des 21. Jahrhunderts, für die Repräsentanten wie die Isländerin Hildur Gudnadóttir sowie die beiden US-Amerikannerinnen Sarah Kirkland und Missy Mazzoli stehen. Sie alle bilden zusammen das titelgebende philosophische Konzept der enargeia.

„Enargeia“ beschreibt die Fähigkeit eines Vortragenden, seinen Gegenstand mit einer derartigen Präsenz und Intensität zu erfüllen, daß er ihn zum Leben zu erwecken scheint und so dem Zuhörer „den (unerträglichen) Glanz des Seins vor Augen führt“. D’Angelo ist eine Meisterin darin, mit ihrer Stimme dieses Konzept in einer geradezu sakralen Atmosphäre zu erfüllen, so als ob sie die Transzendenz auf die Erde holt. Der überzeugendste Anspieltip: das überaus kraftvolle Schlußstück „The Lotus Eater“.

Emily D’Angelo Enargeia Grammophon, 2021 www.emilydangelo.com www.deutschegrammophon.com