Die Freiheit zurückerobern

„COVID-19 ist ein Anfang. Es ist nicht die erste weltumspannende Epidemie, auch nicht die schlimmste und gewiss nicht die letzte. Dennoch markiert die Krise den Beginn einer neuen Zeit: die Welt ist so eng, die Technologie so wirkmächtig, die Angebote an Wissen, an Möglichem, und an Deutung sind überwältigend geworden und schwanken so, dass unser Denken oft nicht mehr hinterherkommt und unser Handeln seinen Kompass zu verlieren droht. Die bereits bekannten Kollateralschäden sind selbstmordgefährdete Kinder, eine Verrohung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die weitere Verelendung der Elenden in der Welt. Die Krankheit unserer Zellen erweist sich als Erkrankung des Geistes, des Gewissens, der Gesellschaft.“

Ole Döring, „Wie kommen wir vor die Welle?“ (aus: Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“, Hrsg. Sandra Kostner und Tanya Lieske)

Keine andere Krise der vergangenen Jahrzehnte seit Ende des Zweiten Weltkriegs war mit derartigen Freiheitseinschränkungen verbunden wie die Corona-Pandemie. Um das Virus an seiner weiteren Ausbreitung zu hindern und damit die Zahl der tödlichen Krankheitsverläufe zu reduzieren, übernahmen fast alle Staaten der westlichen Welt die Methoden aus dem totalitären China, aus der das Virus stammte. Doch es sollte nicht bei den Lockdowns des öffentlichen Lebens bis hin zum Verbot, auf einer Parkbank sitzend ein Buch zu lesen, bleiben.

Bis dahin sollte keine andere Maßnahme tiefer in das medizinische Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eingreifen, wie die von zahlreichen Medien durch moralisierende Narrative flankierte Impfpflicht, mit der alle Menschen durch einen bis dahin kaum erprobten Impfstoff gegen das Corona-Virus immunisiert werden sollten.

Letztendlich blieb es nur bei der Absicht und die Impfpflicht wurde nur bestimmten Berufsgruppen auferlegt. Doch die bizarren Wortmeldungen eines Boris Palmer nach Beugehaft und Rentenkürzungen für Impfverweigerer, für die er im Gegensatz zu seiner aktuellen „Neger“-Äußerung keine Konsequenzen tragen mußte, lassen erahnen, wie sehr sich durch Corona in unserer politischen Klasse die totalitäre Versuchung ausgeprägt hat.

Nach dem Abflauen der Pandemie stellt sich nun heraus, die Impfung war keineswegs ein „Game-Changer“ und schon gar nicht nebenwirkungsfrei. Die Zuschreibung der Ungeimpften als unsolidarische Pandemietreiber hatte eine reine Sündenbock-Funktion. Immens waren die durch die teilweise rechtswidrigen Maßnahmen angerichteten sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kollateralschäden. Über die als „Schwurbler“, „Covidioten“ und „Coronaleugner“ verunglimpfte Gruppe der Maßnahmenkritiker hinaus sind sich immer mehr Menschen unsicher geworden: War diese Pandemie diesen Verlust an Freiheit wert?

Freiheit für einen selbst oder Sicherheit für alle anderen? [Netzfund]

Diese Frage stellten sich auch 2022 die Publizistin Tanya Lieske und die Historikerin Sandra Kostner. Noch in der Endphase der Pandemie sammelten sie 15 Essays, die sie in dem Band „Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“ zusammenfassten, der im Herbst desselben Jahres erschien.

Weiterlesen

Der Untertitel verspricht eine „interdisziplinäre Essaysammlung“, ein Anspruch, der leider nur eingeschränkt eingehalten wird. Zwar verfügen die Autoren über jeweils beachtliche professionelle Hintergründe aus den Geisteswissenschaften. Doch einen Fachmann mit medizinisch-naturwissenschaftlichem Background, vielleicht sogar aus der Epidemiologie oder Virologie sucht man darunter leider vergebens. Doch das schmälert den Wert der Beiträge keineswegs. Auf allgemeinverständliche Art wird die staatliche Pandemiebekämpfung unter den Aspekten der Freiheit und den Möglichkeiten einer Versöhnung der durch die Pandemie gespaltenen Gesellschaft beurteilt. Ein auffallendes und auch gravierendes Defizit ist das Fehlen eines Beitrags, der sich explizit mit dem politisch-medialen Komplex beschäftigt, der die entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der Coronamaßnahmen wie auch bei der Vermittlung des Krisenbildes hatte, in der Regel ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Die Wissenschaft galt vorgeblich immer als Richtschnur in der Pandemiebekämpfung und überschritt dabei immer wieder ihre Grenzen, z.B. wenn sie „sich anmaßt, über den Grundrechten zu stehen und darüber zu entscheiden, wem diese zukommen und wem nicht“. Der Philosoph Michael Esfeld konstatiert daraus in seinem Essay „Freiheit und Wissenschaft“ die „Selbstzerstörung von Wissenschaft“, verbunden mit der fatalen Gefahr einer Abkehr der Menschen von derselben. Esfeld rät zur Rückkehr zum Respekt für der Vorrang der Selbstbestimmung und der Grundrechte der Menschen. Das Interesse der Wissenschaft, nach Esfeld, ist „Erkenntnisse zu gewinnen und Wahrheit über Tatsachen zu gewinnen“.

Bereits der lange Titel des von dem Psychologen Boris Kotchoubey eingereichten Essays – „Von ‚Wissenschaft und Religion‘ und ‚Wissenschaft gegen Religion‘ zu ‚Wissenschaft als Religion‘“ – läßt keine Fragen über sein Thema offen. Kotchoubey zeigt auf, wie schmal in unserer Zeit der Grat zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft geworden und selbst Wissenschaftler die Grenzen wie auch die Begrenztheit ihrer Aussagen oftmals nicht mehr zu erkennen vermögen:

Wer nicht mehr den Unterschied zwischen Glauben und Wissen begreift, nimmt seine Annahmen nicht mehr als Annahmen, d.h. als etwas nur Geglaubtes. „Wer nicht weiß, dass er glaubt, der glaubt, dass er weiß.“ Damit wird die wichtigste Eigenschaft eingebüßt, die einen Experten von einem Laien unterscheidet, nämlich das klare Bewusstsein für die Grenzen seiner Expertise. Daher kommt das typische Phänomen der letzten Jahre: der fanatische Glaube der Wissenschaftler an ihre Modelle. Das säkularisierte Hirn ist unfähig einzusehen, dass ein mathematisches oder physikalisches Modell immer auf Annahmen beruht, und dass, wenn nur eine dieser zugrunde liegenden Annahmen falsch ist, das Modell keinen Pfennig mehr wert ist, egal wie gut es berechnet wurde: „garbage in, garbage out.“

Den Mißbrauch des Begriffes „Solidarität“, mit dem Regierungsvertreter für die Akzeptanz der Freiheitseinschränkungen warben, prangert die Islamwissenschaftlerin Agnes Imhof an („Solidarität und Menschenwürde. Autoritarismus entlarvt durch sein Menschenbild“). Diese Solidarität wurde nicht freiwillig erbeten, sondern – was Imhof problematisiert – „mittels Sanktionen eingefordert“ und warnt: „Wo das Gemeinwohl dem Einzelnen übergeordnet wird, läßt sich prinzipiell jede Grausamkeit rechtfertigen.“ Ihr Fazit des die Grundrechte des Individuums und damit seine Menschenwürde negierenden Staates fällt drastisch aus:

„Wer Solidarität also gegen Menschenwürde ausspielt, verlässt das Territorium freiheitlich-demokratischer Anthropologie. Denn Solidarität ist nur unter freien Individuen möglich. Alles andere nennt man nicht Solidarität. Sondern Sklaverei.“

Herausgeberin Sandra Kostner dürfte unter allen Beiträgern am bekanntesten sein. Zu ihrer Vita zählen die Zusammenarbeit mit dem Migrationsforscher Stefan Luft, der dem Konsens seines Faches einer „Bereicherung durch Migration“ teilweise kritisch gegenübersteht, sowie ihrer Mitgliedschaft in dem von ihr gegründeten „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, das gegen die Instrumentalisierung und Vereinnahmung durch ideologische Interessen streitet. Auch vor einem Auftritt in der vom Mainstream argwöhnisch und mit gewissem Neid beäugten Sendung „Talk im Hangar-7“ des Senders Servus-TV schreckt sie nicht zurück. All das ist mehr als ausreichend, sie in den Augen des Mainstreams „höchst verdächtig“ zu machen, eine Vorstufe vor dem Label „umstritten“.

Sandra Kostner in „Talk im Hangar-7“

In „Droht ein gesellschaftliches Log Covid?“ fragt die Historikerin nach den langfristigen gesellschaftlichen Folgen über die Pandemiezeit hinaus durch eine Sündenbock-Politik, die Ungeimpften in einer teils drastischen und affektgeladenen Rhetorik („Tyrannei der Ungeimpften“) ihre Rechte absprach:

Zwei Jahre, in denen Politiker, unterstützt von Medien, Institutionenvertretern und Wissenschaftlern, leichtfertig die Geister „Ausgrenzung und Verunglimpfung Andersdenkender“ und „Allgemeinwohlideen schlagen individuelle Freiheitsrechte“ aus der Flasche ließen, haben zu beträchtlichen sozialen Verwerfungen geführt. Mit anderen Worten: Es wurde der Boden für ein gesellschaftliches Long Covid bereitet.

Der Geist ist aus der Flasche, wie bekommen wir ihn wieder hinein, wie sind die gesellschaftlichen Gräben zu überwinden? Hier spielt der Begriff der Versöhnung hinein, mit dem sich der Philosoph Henning Nörenberg beschäftigt („Die Spaltung der Gesellschaft in Zeiten von COVID-19. Worin sie besteht und wo Ansätze zu ihrer Überwindung liegen“). Er empfiehlt die Suche nach Gemeinsamkeiten – z.B. die Ohnmachtserfahrungen in dieser Zeit – zwischen zwei Lagern, die keineswegs so homogen und damit voneinander verschieden sind, wie es auf dem ersten Blick erscheint. Doch bis jetzt sieht es eher danach aus, als ob die Zeit der Pandemie unter den Tisch gekehrt werden soll, Nörenbergs Wunsch nach Versöhnung nur ein frommer Wunsch bleibt, denn vor allem die politisch verantwortlichen Akteure zeigen wenig Interesse daran, daß das Thema weiterhin im öffentlichen Bewußtsein bleibt. Eindeutigstes Indiz dafür ist die Ablehnung eines AfD-Antrags auf Einrichtung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Bundestag im vergangenen April.

Geradezu verblüffende historische Analogien zeigt der Osteuropa-Historiker Klaus Buchenau auf. Die Einführung neuer Formen in der Liturgie führte in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer Abspaltung der Altgläubigen von der Russisch-Orthodoxen Kirche. Verlauf und Entwicklung dieser Bewegung sowie ihr Verhältnis zum religiösen Mainstream weisen interessante Ähnlichkeiten zu der zeitlich wesentlich geraffteren Pandemie auf („Roskol – Spaltung auf Russisch. Corona im Spiegel eines historischen Beispiels“).

Mit dem weiteren Abklingen der Corona-Pandemie verlieren die Beiträge aus „Pandemiepolitik“ keineswegs an Wert – im Gegenteil: Auch für die Abwehr künftiger „Zumutungen“ (Robert Habeck) bieten die Beiträge in „Pandemiepolitik“ einen gewaltigen Fundus an Argumenten, so auch in der Betrachtung von Worst-Case-Szenarien, dem Wert der Bildungspolitik und der Monofokalität, also der Verengung des Blickwinkels.

Die Übergriffigkeiten staatlicher wie nichts-staatlicher Akteure haben Pflöcke eingeschlagen, die für die Zukunft nichts Gutes erwarten lassen. Schon während der Pandemie wurde deutlich kommuniziert, daß die sogenannte, medial gehypte „Klimakrise“ sich als weiteres Betätigungsfeld zur Zwangsbeglückung der Bürger und damit einem weiteren Freiheitsentzug anbietet. Die irrationale Energiewende der Ampel-Regierung und damit verbunden vor allem die teuren Gesetzesvorschläge aus dem Hause des Wirtschaftsministers Habeck zum verpflichtenden Heizungsaustausch sind das erste drohende Wetterleuchten dieser unangenehmen Wahrheit.

Sandra Kostner, Tanya Lieske (Hrsg.]
Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?:
Eine interdisziplinäre Essaysammlung
(Klartext. Schriften zu Politik und Gesellschaft)
ibidem
Oktober 2022
210 Seiten; 24,- Euro

 

 

Wenn Science-Fiction zur Realität wird

LONDON BEREITET SICH AM JAHRESTAG DES MEDIKATIONSGESETZES AUF MASSENPROTESTE VOR

Zum neunzehnten Jahrestag der Einführung des Medikationsgesetzes wurden in der Hauptstadt die Sicherheitsvorkehrungen verdoppelt. Groß angelegte Demonstrationen zugunsten des Rechts von über Siebzigjährigen auf Antibiotika werden überall im ganzen Land erwartet. Im vergangenen Jahr haben sich mehr als eine Millionen Menschen zu „Die-ins“ vor Krankenhäusern, Verkehrsknotenpunkten und Regierungsgebäuden zusammengefunden, in deren Zuge mehrere Städte lahmgelegt wurden.

Das umstrittene Medikationsgesetz, das als Notverordnung während der Großen Krise verabschiedet worden war, hatte zum Ziel, das exponentielle Wachstum von Antibiotikaresistenzen einzudämmen und die Dauer der Einsatzfähigkeit neuer Medikamente zu verlängern. Es stützte sich auf die Ergebnisse von Reihenuntersuchungen, die darauf hinwiesen, dass ältere Patienten wegen der längeren Verwendung von Antibiotika und ihrer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten vermehrt zu antimikrobiellen Resistenzen neigen. Aktivisten zweifeln diese Studien an und erklären, sie seien nicht mehr glaubhaft und dienten lediglich als pseudowissenschaftlich untermauerter Vorwand. Sie behaupten, dass die wahren Motive damals finanzieller Natur waren – und es immer noch sind.

„Der Genozid an Senioren muss aufhören“, sagt die achtundsechzigjährige Organisatorin der Demonstration, Tessa Beecham. „Wir alle haben ein Anrecht auf Behandlung, egal, wie alt wir sind. Die Medikamente sind verfügbar, die Regierung will nur nicht für sie bezahlen. Wir werden nicht ruhen, bis sie dieses unmenschliche und unnötige Gesetz aufheben.“

Aus: „Der letzte Weg“; Eve Smith

Gute Science-Fiction vermag gegenwärtige Trends aufzuspüren und ihre Entwicklung in der Zukunft vorauszuschauen. Ein perfektes Beispiel hierfür ist „Das Heerlager der Heiligen“ des Franzosen Jean Raspail, der bereits 1973 geradezu visionär die heutige Massenmigration aus der Dritten Welt nach Europa literarisch vorwegnahm. Doch es kann auch der Fall eintreten, daß ein Science-Fiction-Roman, kaum auf dem Markt, von der Dynamik einer Entwicklung, die er prognostiziert, überrollt wird. Ein derartiger Fall liegt mit „Der letzte Weg“ der Britin Eve Smith vor.

Weiterlesen

Wir alle kennen die segensreiche Wirkung von Antibiotika. 1928 entdeckte der britische Bakteriologe Alexander Fleming die bakterizide Wirkung des Schimmelpilzes Penicillin, was eine regelrechte Revolution in der Medizin auslöste. Von da an ging von alltäglichen Infektionen, der so viele Menschen zum Opfer fielen, kein Schrecken mehr aus. Fleming warnte jedoch bereits vor einer Zeit, in der die Antibiotika drastisch an Wirksamkeit verlieren könnten, weil Bakterien im Laufe der Zeit Resistenzen entwickeln würden. Die Gefahr ist mit dem Auftreten multiresistenter Keime bereits real geworden, gleichwohl in der ärztlichen Praxis gerade noch beherrschbar.

Smith jedoch führt in eine gar nicht so ferne Zukunft, in der sämtliche Antibiotika in der „Großen Krise“ wirkungslos geworden sind. Mitverantwortlich hierfür ist die massenhafte Anwendung der Antibiotika, auch in der Mastzucht, aus der sich resistente Keimstämme entwickeln können. Infektionen greifen um sich und führen zu Massensterben. Selbst die kleinste Entzündung, die scheinbar harmloseste Schnittverletzung wird zur tödlichen Gefahr. Erkrankte werden zwecks Eindämmung isoliert. Die Lebenserwartung sinkt rapide. Der überwunden geglaubte Schrecken vergangener Tage ist wieder präsent.

Damit einhergehend erfährt auch die Gesellschaft einen Wandel. Jahrzehnte später errichtet der Staat im Rahmen der Infektionskontrolle ein die individuellen Freiheiten drastisch einschränkendes Kontrollregime. Haustiere sind inzwischen fast ausnahmslos als potentielle Krankheitsüberträger gekeult worden. Für über 70jährige gibt es nur noch eingeschränkte medizinische Hilfe. Die Lebenserwartung ist rapide gesunken. Sterbehilfe in Krankenhäusern ist normale Praxis, gleichwohl von der Bevölkerung nicht uneingeschränkt akzeptiert. Überhaupt regt sich zunehmend Widerstand gegen das Gesundheitsregime. Doch immerhin, ein Gutes hat diese Zeit: Die Viehwirtschaft wurde auf Bioproduktion umgestellt, was Fleisch aber zur raren und teuren Ware macht.

In dieses Szenario bettet Smith die Geschichte von Mary/Lily und Kate ein. Kate ist eine Krankenschwester, die aber weniger in der Pflege als in der Sterbebegleitung eingesetzt wird. Sie ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie kurz vor ihrer Geburt zur Adoption freigab. Ihre Mutter Mary wiederum lebt in einem britischen Seniorenheim. Zu ihrem Schutz gab sie sich eine neue Identität als Lily. Denn sie ist verwickelt in politische Aktivitäten während der Zeit des Ausbruchs der „Großen Krise“, als die Regierung ihre Rolle in einem Medizin-Skandal vertuschte. Und genau deswegen sind noch andere als ihre Tochter Kate auf der Suche nach ihr.

Smiths Debütroman erschien 2020 (deutsche Erstausgabe 2022), mitten im Beginn der Corona-Pandemie, die die Welt rund drei Jahre in Atem halten sollte; eine geradezu kuriose Koinzidenz. Allzu vertraut erscheint daher dem Leser der Plot von der „Großen Krise“ und der Atmosphäre jener Zeit, die ihr folgt. Ihr Roman enthält im Grunde genommen fast alles, was wir auch in der Corona-Pandemie kennenlernen durften. Tatsächlich ist in Großbritannien auf dem Höhepunkt der Pandemie selbst die Tötung aller Hauskatzen erwogen worden! Aber ist das dann noch Science-Fiction?

Auf der deskriptiven Ebene leistet Eve Smith solide Arbeit. Die detaillierte Szene zu Beginn, in der sie Marys Assistenz einer Sterbehilfe-Zeremonie schildert, der lebensmüde Patient, die verzweifelten Angehörigen und das formelle Prozedere wirken beklemmend authentisch. Sofort denkt der kundige Leser und Kineast an eine ähnliche Szene aus dem Kultfilm „Soylent Green“ (1973). Dennoch wirkt Smiths Darstellung keineswegs wie eine Kopie.

Daher ist die Lektüre von „der letzte Weg“ eine gewisse Herausforderung, da Smith auf eine lineare Erzählweise verzichtet, und stattdessen auf verschiedenen Zeitebenen, in denen die Protagonisten gleichberechtigt auftreten, munter hin und her springt, bevor am Ende alle Fäden wieder zusammenfinden.

Als inhaltliches Defizit muß der Mangel an Tiefenschärfe genannt werden. Die verpasste Chance, die Implikationen eines Gesundheitsregimes wie in ihrem Buch in Bezug auf dessen Menschenbild, ein politisches Herrschaftsverständnis und ein umfassenderes Bild der Gesellschaft auszuloten, ließ die Autorin leider ungenutzt. Über das Niveau eines mittelmäßig spannenden Thrillers kommt die Geschichte somit leider nicht hinaus.

Eve Smith
Der letzte Weg
Heyne
448 Seiten; 15,- Euro

Kimmich, das „Team Lauterbach“ und die HNA

„Was ist der Unterschied zwischen einer Verschwörungstheorie und der Wahrheit? Ungefähr zwölf Monate.“ (Jakob Hayner, WELT Online vom 18.3.2023)

Drei Jahre können gefühlt eine sehr lange Zeit sein, vor allem wenn sie dicht bepackt mit spektakulären Ereignissen sind. In diesen Tagen jährt sich nun zum dritten Mal die erste Verhängung eines Covid-Lockdowns durch die Bundesregierung. Damals noch unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel, eine Maßnahme, deren Verhängung noch wenige Tage zuvor offiziell geleugnet wurde, dann auf wenige Wochen terminiert, um dann auf mehrere Monate verlängert zu werden. Was während dieser Zeit zur Bekämpfung der Covid-Pandemie erfolgte, war ein gesellschaftlicher Stresstest ohnegleichen, noch zusätzlich getoppt von dem von Politik und Medien forcierten Druck auf die Bevölkerung, sich allesamt einer noch unzureichend getesteten Impfung gegen das Corona-Virus zu unterziehen. Zwar ist diese Zeit vorüber, doch die daraus resultierenden gesellschaftlichen Gräben und Verwerfungen sind kaum zugeschüttet. Denn nun beginnt die Aufarbeitung und es kommt heraus – oh, Wunder! -, daß die Maßnahmen, bekanntlich in Teilen rechtswidrig, vielfach weit über das Ziel hinausschossen, gefährliche Kollateralschäden verursachten und auch die Impfung keineswegs, wie der inzwischen von den Medien zum Bundesgesundheitsminister hochgeschriebene Karl Lauterbach behauptete, vollkommen nebenwirkungsfrei war.

Weiterlesen

Vor nur wenigen Wochen in der Talksendung von Markus Lanz, gab nun Dauergast Lauterbach zu aller Überraschung indirekt den „Querdenkern“ und sogenannten „Schwurblern“ recht. Die Schulschließungen waren überzogen, die Regeln zum Außenaufenthalt – auch mit Maskenzwang! – sogar „Schwachsinn“. Dem Rückzug in Raten folgte seine Relativierung von der angeblich „nebenwirkungsfreien Impfung“ bei Anne Will:

„Auf der anderen Seite müssen wir auch vermitteln, was ja auch so ist: Die Impfungen sind halt mehr oder weniger nebenwirkungsfrei. Das muss immer wieder gesagt werden.“

Was das im schlimmsten Fall konkret bedeutet, hat unter anderem WELT Online berichtet, wie im Fall der 20jährigen Alina Adams, die seit der dritten Impfung auf den Rollstuhl angewiesen ist und um die Anerkennung ihrer Ansprüche kämpft:

https://www.welt.de/wirtschaft/plus243843025/Corona-Impfschaeden-Danach-war-fuer-mich-klar-dass-ich-klagen-will.html


JUNGE FREIHEIT 12-23, 17.03.23:

Lauterbach: Impfschäden schneller anerkennen

Berlin. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das Auftreten von schweren Nebenwirkungen nach der Impfung gegen Covid-19 eingeräumt und sich dafür ausgesprochen, daß Impfschäden schneller anerkannt werden. „Diese Schicksale sind absolut bestürzend. Die Menschen tun mir ehrlich gesagt sehr leid“, beteuerte der Sozialdemokrat im ZDF. Ein etwaiges Versagen des Gesundheitsministeriums an dieser Stelle wollte der Politiker unterdessen nicht sehen. „Damit kein falscher Eindruck hängenbleibt: Schwere Impfschäden sind auf der Grundlage der Daten des Paul-Ehrlich-Institutes oder der Europäischen Zulassungsbehörde in der Größenordnung von weniger als eins zu 10.000 Impfungen. Es ist also nicht so, daß Impfschäden so häufig seien.“ Auf die Frage, weshalb der Gesundheitsminister noch im Sommer 2021 behauptet habe, daß die Impfung „nebenwirkungsfrei“ sei, antwortete Lauterbach ausweichend. „Das war eine Übertreibung, die ich einmal in einem mißglückten Tweet gemacht habe.“ Aber das sei nicht seine grundsätzliche Haltung gewesen. Nun forderte der Sozialdemokrat eine Beteiligung der Pharmakonzerne an eventuellen Schadensersatzzahlungen. „Die Gewinne der Pharmafirmen sind exorbitant gewesen. Das wäre also mehr als nur eine gute Geste“, betonte er. Zuvor hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefordert, Bund, Länder und Impfstoffhersteller sollten die Opfer von Corona-Impfschäden über eine Stiftung entschädigen. Bisherige Verfahren seien viel zu bürokratisch, so der gesundheitspolitische Sprecher, Tino Sorge (CDU). Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte die AfD-Bundestagsfraktion von der Bundesregierung verlangt, für eine umfassende Datenlage bezüglich gesundheitlicher Folgen und Nebenwirkungen der Corona-Impfung zu sorgen. Außerdem müsse die Ständige Impfkommission „schnellstmöglich ihre Impfempfehlungen anhand aktueller Daten zur Wirksamkeit und zur Häufigkeit und Schwere von Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe überprüfen und aktualisieren“. (fw/vo)


Einer, der den Druck sich impfen zu lassen, besonders zu spüren bekam, war der Fußball-Nationalspieler Joshua Kimmich. Im Oktober 2021 bekannte Kimmich sich zu seiner Skepsis über ein zu wenig getestetes Impfverfahren, das noch mit zu vielen Risiken behaftet sei. Wie groß der Druck gewesen sein muß, kann man sich mittlerweile gut vorstellen. So gab Kimmich am Ende klein bei und ließ sich die Spritze geben. WELT Online erinnerte dieser Tage auch an diesen Fall und setzte ihn in Zusammenhang mit Lauterbachs Versprechen einer „nebenwirkungsfreien Impfung“:

https://www.welt.de/kultur/plus244325985/Corona-Impfung-Ohne-Nebenwirkungen-Wie-das-Team-Lauterbach-Joshua-Kimmich-jagte.html

Penibel wurden in dem Beitrag die teils drastischen und übergriffigen Äußerungen Prominenter aufgeführt, aus denen die von Jan Böhmermann besonders abstoßend herausragt:

Der Fall Kimmich stand in der Berichterstattung stellvertretend für ein vermeintlich viel größeres Problem: für die Ungeimpften, die „Impfmuffel“, die „Impfverweigerer“. Um gegen die vorzugehen, war kein Mittel zu schlecht. Jan Böhmermann tönte auf Twitter: „Gespaltene Gesellschaft scheißegal, solange alle geimpft sind.“

WELT Online zieht daraus eine bittere Bilanz:

Menschen wurden zur Impfung oder alternativ aus dem öffentlichen Leben gedrängt, darunter Kinder und Jugendliche, wo Nutzen und Risiko der Impfung in einem völlig anderen Verhältnis zueinander stehen als bei Alten und Risikopatienten. Andere Menschen haben, weil sie die Impfung nicht wollten, ihren Beruf verloren oder konnten ihn nicht oder nur eingeschränkt ausüben. Neben körperlichen Schäden müssen auch die seelischen berücksichtigt werden, außerdem die gesellschaftlichen und politischen: die mutwillige Sabotage öffentlicher Meinungsbildung und das sträfliche Außerachtlassen von Grundsätzen der Selbstbestimmung.

Der Einzelne, sein Körper und seine Entscheidung galten nichts: Klappe halten, impfen lassen. Nun hält das Team Lauterbach plötzlich selbst die Klappe, aus Lautsprechern wurden Leisetreter. Das Schweigen ist dröhnend. Die Blamage ist augenfällig, peinlicherweise mit herbeigeführt durch den obersten Verantwortlichen selbst, den Gesundheitsminister, der sich mit seinen jüngsten Wendungen noch zu retten versucht. Und da die Langzeitfolgen nun plötzlich doch existieren: Hat sich vom „Team Lauterbach“ eigentlich schon jemand bei Joshua Kimmich gemeldet?

Auch die HNA war in dieser Zeit an vorderster Front mit dabei, wenn es gegen „Querdenker, Impfmuffel und Schwurbler“ ging. In der „Standpunkte“-Kolumne „Keine Sonderrolle für den Fußball“ vom 26.10.2021 gab Redakteur Ullrich Riedler folgende Sätze zu Kimmich zum Besten:

[…] Insofern bleibt die Impfung auch im Sport erste Bürgerpflicht. Man gefährdet mit dem Virus nicht nur sich selbst, sondern durch Ansteckungen auch andere. Wem die vielen positiven Studien zur Verträglichkeit der Impfstoffe also nicht ausreichen, der proklamiert mit dem Warten auf Langzeit-Studien für sich einen Luxus, den wir uns gar nicht leisten können. Denn nur wenn wir relativ rasch möglichst viele Menschen gegen Covid-19 impfen, haben wir eine Chance, das Virus entscheidend einzudämmen. Hier beginnt das eigentliche Problem für den FC Bayern und den DFB. Denn Kimmich hat Vorbildfunktion. Er ist herausragender Nationalspieler und Sympathieträger. Vereine und Verbände müssen somit schnell reinen Tisch machen und bei betroffenen Spielern die nötige Überzeugungsarbeit leisten.

HNA-Standpunkt vom 26.10.2021

Auf welche „positiven Studien“ sich Riedler hierbei beruft, bleibt ein Rätsel. Schon damals war absehbar, daß die Impfung keineswegs die Ausbreitung des Corona-Virus eindämmen würde. Somit war die Impfung alles andere als ein „Game Changer“. Vermutlich plappert Riedler hier nur nach, was die Regierungspropaganda vorgab. Es sind Worte, die im Nachgang der Ereignisse zum Fremdschämen anregen.

So sehr sich die HNA damals in die Phalanx der unkritischen Befürworter aller regierungsamtlichen Maßnahmen einreihte, so dröhnend ist ihr heutiges Schweigen über diese Zeit. Eine Abfrage im HNA-Archiv ergibt keinen Hinweis auf eine Berichterstattung über die bemerkenswerten Auftritte von Lauterbach bei Markus Lanz und Anne Will. Ebensowenig werden die immer offenkundigeren Impfschäden thematisiert. Und auch auf eine öffentliche Entschuldigung von Riedler gegenüber Kimmich dürfen die Leser noch lange warten. Selbstkritik ist eine Fähigkeit, zu der sich noch nie ein HNA-Redakteur fähig zeigte.

Als „Vierte Gewalt“ wäre es jetzt die Aufgabe der HNA, Selbstkritik zu üben und den Rücktritt von Lauterbach zu fordern. Doch das ist wohl für ein regierungstreues Verkündigungsorgan zu viel verlangt.

Nun steht der zweite Jahrestag der gewaltigen Demonstration in Kassel vom 20. März 2021 an, als mehr als 20.000 Menschen friedlich gegen die Regierungsmaßnahmen demonstrierten; ein Ereignis, daß offenbar auf nicht wenige regierungstreue Redakteure der HNA eine traumatisierende Wirkung hatte. Die Gelegenheit, in diesem Sinne in Nibelungentreue zur Regierung rein apologetisch an das damalige Ereignis zu erinnern, wird die HNA wohl kaum verstreichen lassen.

Und dann werden wir vorgeführt bekommen, daß bei diesen Hofschranzen das Trauma über diese Demo heute noch wirksamer ist als die Scham, freiwillig und gerne über jedes Stöckchen gesprungen zu sein, daß die Regierung ihnen hingehalten hat.

Die HNA, Karl Lauterbach und der Flug des Ikarus

Ob dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) eine Träne der Rührung über die Wange lief, als er am vergangenen Samstag diesen Tweet absetzte: „Einfach mal Danke!“ Anlaß war die Titelseite der Thüringer Allgemeinen (TA), die mit einem großen Schaubild das Stärkeverhältnis der Impfkritiker sowie der die staatlichen Corona-Maßnahmen ablehnend gegenüberstehenden Minderheit, die mit „illegalen“ Spaziergängen ihrem Protest Ausdruck verschafft, gegenüber der überwältigenden Mehrheit, die durch die Impfung ihre angebliche Akzeptanz der Maßnahmen zeige.

Eine steile These, wo bekanntermaßen auch nicht wenige Geimpfte sich unter die Spaziergänger begeben haben. Aber in Corona-Zeiten ist das mit den Zahlen und Daten so eine Sache. Da wurde in einigen Bundesländern bislang bei der Intensivbelegung das beträchtliche Dunkelfeld derer, deren Impfstastus nicht bekannt war, einfach den Ungeimpften zugerechnet. Es dauerte jedenfalls nicht lange, und Ramelows Tweet geriet zum Rohrkrepierer, als nicht wenige geschichtsbewußte Follower Ramelow auf gewisse heikle historische Parallelen hinwiesen, die sie auch noch mit zeitgenössischen Dokumenten belegen konnten. So mit der Schlagzeile aus dem Neuen Deutschland vom März 1988: „Der neue ‚Glasklar‘-Kurs der SED erobert die Herzen der Massen“.

Dieser kuriose Vorgang beleuchtet eindrucksvoll die Wahrnehmung vieler Bürger, wonach es nach Eurorettung und Migrationskrise nun in der Corona-Pandemie zu einem erneuten Einvernehmen zwischen Medien und Regierung gekommen ist. Die „Vierte Gewalt“ hat ihre Kontrollfunktion endgültig aufgegeben und unterstützt unkritisch einen Regierungskurs, der in weiten Teilen der Bevölkerung keine Akzeptanz mehr findet.

Weiterlesen

Auch in unmittelbar nächster Nachbarschaft zu Erfurt, in Nordhessen, spielte sich dieser Tage das Drama des unbegabten Journalisten als regierungsamtliches Sprachrohr in ähnlicher Weise ab. Zwei Tage nach besagter Ausgabe der TA demonstriert die Hessische Allgemeine (HNA) auf ihrer Titelseite in der Rubrik „Standpunkt“ den engen Schulterschluß zwischen Regierung und Mainstreammedien-„Intelligenzija“: „Lauterbach im Umfragehoch / King Karl – die neue Art, Politik zu machen“. Florian Hagemann, Leiter der Lokalredaktion Kassel, ergießt sich darin zu einer regelrechten Lobhudelei:

Lauterbach hat es in den ersten Wochen im neuen Amt längst zu King Karl geschafft: Er twittert fleißig, wird mal in die Tagesthemen geschaltet, mal ins Heute-Journal, er schaut mal bei Anne Will vorbei, mal bei Maybrit Illner, heute Abend ist er bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“ zu Gast. Lauterbach ist omnipräsent, er ist Karl Überall. (…)

Das ist insofern erstaunlich, als dass es diese Art von Politiker bisher eigentlich gar nicht gab. Lauterbach ist nämlich immer noch in erster Linie Professor, der die Dinge versucht, mit seinem Hintergrund als Wissenschaftler zu erklären – untermauert mit dem Hinweis auf diese und jene Studie. Seine Vergangenheit verleiht dem Mediziner dabei die nötige Glaubwürdigkeit.

Und zum krönenden Abschluß, warum die Beliebtheitswerte der Minister Habeck und Lindner nicht an die von „King Karl“ reichen:

Womöglich aus einem einfachen Grund: Weil Karl Lauterbach sich nicht verstellen muss, um einfach Karl Lauterbach zu sein.

An dieser Stelle hätte ich noch erwartet: „Majestät, Ihr seid die Sonne…“

HNA-Standpunkt vom 10.01.2022

Als erstes kommt beim Lesen der Verdacht auf, mit diesem schleimigen Text will Hagemann sich für den Posten des Bundestagspoeten vulgo „Hofschranze“ (Don Alphonso) bewerben, den die Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckhardt so gerne ausschreiben will.

Aufhänger der Thesen Hagemanns sind die Umfragen zu Lauterbachs Beliebtheit (66 Prozent bei Dimap). Doch mit demoskopischen Beliebtheitswerten ist das so eine Sache. Eine ungeschriebene Grundregel dabei lautet, daß die Beliebtheit eines Politikers mit seiner Medienpräsenz korreliert, egal, was er dabei zu sagen hat. Und wie diese Präsenz nun zustande kommt, wäre eine eigenständige Untersuchung wert, nach welchen Kriterien jemand wie Lauterbach die Dauereinladungen in die Talkshows des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks erhält und welche Fäden im politisch-medialen Komplex hier gezogen werden. Transparent sind diese jedenfalls nicht, allenfalls zu erahnen.

Was Lauterbach für diese Rolle sicherlich prädestiniert, ist sein professoraler Auftritt, in dem er mit sorgenvoller Miene Endzeitstimmung verbreitet. In seinem Buch „Das Ende der Welt. Von Ängsten und Hoffnungen in unsicheren Zeiten“ (2012) ist der Buchautor Christian Schüle auch auf „das Ende der Welt als deutsches Geschäft“ eingegangen. Neben den US-Amerikanern gäbe es kein zweites Volk, das bedingt durch seine wechselvolle Geschichte den Hang zur Apokalypse derart zur Lust verinnerlicht hätte wie das der Deutschen. Deutschland als „das Land der Apokalypse“ – und kein Gesicht passt besser dazu als das von „King Karl“ Lauterbach.

Wenn sich Lauterbachs düstere Voraussagen nicht erfüllen – geschenkt. Daß er den größten Stuß als wichtige Erkenntnis herausposaunt, von der am Folgetag nichts mehr übrig bleibt – vergessen. Die Frage nach seiner tatsächlichen ärztlichen Qualifikation, die angeblich nur im Gesundheitsmanagement liegt – irrelevant. Frei von jedem Selbstzweifel vollzieht er seine Auftritte. Und die Mainstreammedien folgen brav, solange Lauterbach seiner Rolle als zivilreligiöser Prophet, der Apokalypse und Erlösung anbietet, zur Zufriedenheit derer ausfüllt, die ihn nach vorne stellen.

Doch das muß so nicht auf Dauer bleiben. Die Liste der Senkrechtstarter, die gescheitert an sich selbst aus großer Höhe gefallen sind, ist lang. Denkt da noch wer an Matthias Platzeck, der 2005 vom glücklosen Franz Müntefering den Vorsitz der SPD übernahm? Bedacht mit Vorschußlorbeeren von den Medien und ausgestattet mit einem Rekordvotum vom Parteitag warf er ein halbes Jahr später das Handtuch, eine vergessene Fußnote der deutschen Parteiengeschichte als der SPD-Vorsitzende mit der kürzesten Amtszeit in der Bundesrepublik.

Spektakulärer ist da der Fall Karl-Theodor zu Guttenberg, der es schaffte, selbst so skeptische Geister wie den konservativen Publizisten Karlheinz Weissmann zu blenden. Als Verteidigungsminister aus altem Adel schien ihm alles zu gelingen, und selbst in der „heute show“ wurde er vollkommen unironisch „der Mann, der alles kann“ genannt. Bis im Februar 2011 mit der Aufdeckung seiner Dissertation als billiges Plagiat innerhalb von zwei Wochen sein tragikomischer Absturz zum Lügenbaron erfolgte.

Wer hoch steigt, kann tief fallen, sagt der Volksmund. Die griechische Mythologie kennt hierfür die Figur des Ikarus, der mit selbstgemachten Flügeln der Sonne unvorsichtig zu nahe kommt, so daß das zusammenhaltende Wachs zerfloß und Ikarus zu Tode stürzte.

Sieg und Niederlage, Schmerz und Vergnügen, sie liegen nahe beieinander. Und Politik ist umso mehr ein Drahtseilakt, je höher man steigt. Das gilt auch für jemanden wie Karl Lauterbach, bei dem schon erste Anzeichen erkennbar sind, nicht begriffen zu haben, daß ein Ministeramt andere Anforderungen stellt als ein Abgeordnetenmandat. Schneller als gedacht könnte es sich erweisen, daß hinter der Warnung seiner Ex-Frau Angela Spelsberg, bekannt als ausgezeichnete Epidemiologin und Wissenschaftlerin, Lauterbach werde einem Ministeramt nicht gerecht, mehr steckt als nur ein Rosenkrieg.

Der tiefe Sturz eines Politikers ist nicht nur eine Blamage für den Betreffenden; sie ist es ebenso für die Medien, die sich devot anbiederten und ihn in unkritischer Weise nach oben schrieben. Journalisten sind daher auch in diesem Fall gut beraten, dem Grundsatz zu folgen, nahe bei der Sache zu sein, und dabei doch eine innerliche, kritische Distanz zu den Akteuren zu bewahren. Wenn „King Karl“, warum auch immer, sich als Luftikus entpuppt und von seinem Thron stürzt, was wird Hagemann dann im Rückblick zu seinem bereits aus heutiger Sicht Fremdscham erzeugendes Elaborat sagen…?

 

Der Klassiker zum Thema:

Udo Ulfkotte
So lügen Journalisten
Der Kampf um Quoten und Auflagen (2001)
Nur noch antiquarisch erhältlich