Als England von den Russen besetzt war

Hat Romeo sich selbst ermordet? Sag du nur „ja“
Und dieses bloße Wörtchen „ja“ soll mehr vergiften
Als des Basilisken todverheißend Auge.
Ich bin nicht ich, wenn’s geben sollt ein solches „ja“
Und schlafend jene Augen, die dir das „ja“ entreißen!

Aus: „Romeo und Julia“, William Shakespeare

Der zweite Jahrestag des Beginns des russischen Krieges gegen die Ukraine brachte in den Medien manch merkwürdige Bewertung des militärischen Potentials Russland. Sollten die Russen diesen Krieg gewinnen, so würden dadurch russische Expansionsgelüste nach Westeuropa hinein geweckt; so sah ein Kommentator sogar den weiteren Vormarsch bis in die Schweiz kommen. Warum die Russen in die Schweiz marschieren sollten, blieb allerdings ungeklärt.

Wer alt genug ist, den bis 1990 andauernden Kalten Krieg miterlebt zu haben, dem kommt der Sound dieser Überlegungen merkwürdig vertraut vor. Auch damals machte man sich im Westen viele Gedanken darüber, was kommen könnte, gelänge den Russen der Sieg über den „freien Westen“. Der griffigste Slogan daraus war wohl der aus dem linken Spektrum kursierende Spruch: „Lieber rot als tot.“

Einer der sich damals darüber Gedanken machte, war der Schriftsteller Kingsley Amis (1922 – 1995). Amis gehörte zu den bedeutendsten britischen Schriftstellern seiner Zeit. Zu seinen bekanntesten Werken in Deutschland gehört der 1980 veröffentlichte und 1984 in der Science-Fiction-Reihe des Heyne Verlags erschienene Roman „Das Auge des Basilisken“.

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In dieser dystopischen Satire zeichnet Amis das Bild eines von den Sowjets besetzten Englands. Der Plot spielt sich 50 Jahre nach einem als „Pazifikation“ bezeichneten Krieges ab, der um die Wende zum 21. Jahrhundert stattfand. „Pazifikation“ – ein recht verharmlosender Begriff für eine militärische Auseinandersetzung, die uns heute daran erinnert, daß die Russen ihren Krieg in der Ukraine ebenso wenig beim Namen nennen, sondern zum „militärischen Sondereinsatz“ relativieren. Die Eroberung nahm nur drei Tage in Anspruch, abgesehen vom vergeblichen Widerstand einiger weniger.

50 Jahre danach ist das Land fast auf ein präindustrielles Niveau zurückgeworfen, statt den Weg in ein sozialistisches Paradies zu gehen. Die Analphabetenrate liegt bei 69 Prozent. Statt Autos fahren die Menschen mit Pferdekutschen und bestenfalls mit Fährrädern mit Hilfsmotor. Selbst Moskau steht kurz vor dem totalen Erliegen des motorisierten Verkehrs. Das von den Russen initiierte Entnationalisierungsprogramm hat die Engländer restlos von ihrem kulturellen Erbe entfremdet, selbst von ihrer anglikanischen Religion. Und offenbar haben die Besatzer nur einer ohnehin im Verfall begriffenen Gesellschaft den Todesstoß gegeben:

„Sie, die Anglikaner, sind seit langem von den Kräften der Aufklärung bedrängt, von innen wie von außen. Bekanntlich waren sie schon zur Zeit unserer Großeltern im Niedergang begriffen, sowohl was die Zahl der Gläubigen als auch was den Inhalt ihrer abergläubischen Vorstellungen betrifft: die meisten von ihnen lebten zugleich in einer laizistischen, wissenschaftlichen oder halbwissenschaftlichen Vorstellungswelt, selbst der Klerus und nicht zuletzt der höhere Klerus, und der Rest der Gläubigen war zu demoralisiert, um sie nicht zu dulden. Die Unterdrückung beschleunigte nur das unausweichliche.“

Hingegen haben es sich die russischen Besatzer komfortabel auf der Insel eingerichtet. Sie haben sich an die Stelle des englischen Adels gesetzt und leben dementsprechend in deren früheren Landhäusern. Jedoch stellen sie nur einen billigen Abklatsch dessen dar, was einmal eine ruhmvolle Vergangenheit repräsentierte. Amis beschreibt die Szenerie einer Scheingesellschaft:

„Und alles sah aus hinreichender Entfernung stilvoll und richtig aus; auch den Anwesenden erschien alles richtig. Niemand dachte, niemand sah, daß die Kleider der Festgäste aus minderwertigen Stoffen schlecht geschnitten waren, schlecht verarbeitet, schlecht sitzend, daß die Frisuren der Damen unordentlich und die Fingernägel der Männer schmutzig waren, daß die Oberflächen der Tennisplätze uneben und unzureichend geharkt waren, daß die weißen Jacken der Diener nicht sehr weiß waren, daß die Gläser und Teller, die sie trugen, nicht ordentlich gespült waren, oder daß das Pflaster, wo die Paare tanzten, hätte gefegt werden müssen. Niemand dachte, niemand nahm mit anderen Sinnen wahr, daß der Wein dünn war, die alkoholfreien Getränke voller Konservierungsstoffe und die Gebäcksorten fade, oder daß die Musik des Orchesters holperig und leblos war. Niemand dachte sich etwas bei alledem, weil niemand jemals etwas anderes gekannt hatte.“

Alexander Petrowsky, ein junger Gardeoffizier eines Kavallerie-Regiments und Sohn eines Besatzungsbeamten lebt schon lange in England. Die Stimmung in der Truppe ist von Langeweile geprägt, so daß sich die Soldaten mit lebensgefährlichen Spielchen unterhalten. Alexander wiederum vertreibt sich die Zeit mit sexuellen Eskapaden, sowohl mit den reifen Frauen russischer Funktionäre wie auch den jungen Mädchen der Unterworfenen.

„Daher erfüllte es ihn mit Erbitterung, daß seine jüngere Tochter derart offen und regelmäßig von einem russischen Offizier bestiegen wurde, noch dazu von einem, den er verabscheute und gegen den er eine persönliche Abneigung verspürte. Diese Gefühle behielt er jedoch so gut als möglich für sich; das Mädchen schien keine Einwände gegen den Stand der Dinge zu haben, und die damit verbundenen Vorteile in Gestalt einer gelegentlichen Flasche Cognac oder einigen Kilo Brennstoff waren sicherlich willkommen, vor allem aber war es (oder konnte sich jeden Tag so erweisen) wichtig, sich das Wohlwollen und die Protektion eines der Scheißer zu sichern – ein Begriff, der selbst unter den vielen gebräuchlich war, die keine ernsten Einwände gegen die Anwesenheit ihrer Herren hatten. Schließlich konnte auch das geringste Verständnis die wahrscheinlichen Resultate des Versuches ermessen, einem – und insbesondere diesem – russischen Offizier entgegenzutreten. Nach allen Erwägungen kam er immer wieder zu dem unausweichlichen Schluß, daß da nichts dagegen zu machen sei.“

Da tritt der Kulturfunktionär Theodor Markow an Petrovsky heran und weiht ihn in den Plan einer Verschwörung der sogenannten Gruppe 31 ein, einer weit fortgeschrittenen Verschwörung, die in einem revolutionären Akt England – und auch Russland – die Freiheit wiederbringen soll. Alexander ist von dem Plan ganz eingenommen und wird an führender Stelle eingesetzt. Doch zu spät erkennen die Beteiligten, daß sie nur Marionetten sind in einer großen Intrige, die auf sie selbst abzielt.

Warum brach der englische Widerstand gegen die sowjetrussische Invasion nach nur drei Tagen zusammen? Offenbar befand sich die Moral der Angegriffenen schon vor dem ersten Schuß im Zustand der fortgeschrittenen Zersetzung. Umso leichter gelang es den Besatzern nach ihrem Sieg, den Unterworfenen auch noch den letzten Rest nationaler Würde zu nehmen, und zwar so nachhaltig, daß selbst die nach Jahrzehnten gewagte Aufführung des Shakespeare-Stücks „Romeo und Julia“ in einem Desaster endet und die Abhaltung eines Gottesdienstes auf Gleichgültigkeit stieß.

Doch die Russen stehen keineswegs als überlegene Sieger da, eher wie nackte, da sie nichts an positiven Werten zu bieten haben, weder den Engländern noch sich selbst. Sogar mit der Erlösungsideologie des Marxismus sind sie am Ende:

„Was ihn ersetzt hat, ist nichts, ein Vakuum. Keine Theorie sozialistischer Demokratie, kein Liberalismus oder dergleichen, nicht einmal ein unpolitischer Kodex des Anstands oder Mitleids. Hinter der ausgehöhlten alten Fassade hatten sich keine neuen Ideen gebildet. Und mit den ökologischen Folgen der ungehemmten industriellen Entwicklung brach der Fortschrittsglaube ebenso zusammen, wie die Hoffnung auf eine allgemeine Aufwärtsentwicklung. Das Christentum war längst abgetan, und keine der neuen Sektenreligionen konnte Fuß fassen. Wie stellte sich der Russe dazu? Kein Glaube, kein Zukunftsoptimismus, kein Vorbild. Unsere in einer anderen Zeit für andere Verhältnisse geschriebenen Bücher sagen uns nichts mehr. Wovon leben wir also? Die Befriedigung des Eigennutzes ist den meisten Menschen nicht genug, es gibt zu viele Gebiete, auf denen er keine Entfaltung findet. Sinnliche Genüsse – ein noch begrenzteres Feld. Also schauspielern wir; wir wählen eine Rolle, die mit unserem Alter und unserer Position nicht allzu unvereinbar ist, und spielen sie nach bestem Können. Freilich können wir sie nicht die ganze Zeit aufrechterhalten, aber sie ist da, wenn wir sie brauchen, und Russe zu sein, ist eine große Hilfe.“

Im Original lautete der Titel von Amis Roman „Russian Hide and Seek – Russisches Verstecken und Suchen“, benannt nach dem morbiden und gefährlichen Zeitvertreib der russischen Besatzungssoldaten, mit der Waffe auf im Dunkeln versteckte Kameraden zu schießen. Der Heyne Verlag entschied sich seinerzeit für den Titel „Das Auge des Basilisken“, nach der darin zitierten Sentenz aus dem Shakespeare-Stück „Romeo und Julia“. Der Basilisk ist ein mythologisches Mischwesen aus dem Kopf eines Hahns mit einer Krone auf dem Kopf und dem Körper einer Schlange, der mit seinem Auge tödliche Strahlen aussenden kann. Der Basilisk als mittelalterliches Sammelwort für alles Böse. Das Auge, weil es der Ausgangspunkt einer tödlichen Bedrohung ist. Also eine treffende metaphorische Beschreibung der Russenbedrohung.

Amis schrieb seinen Roman nicht allein unter dem Eindruck des Kalten Krieges, sondern auch in einer Zeit, in der England beziehungsweise Großbritannien, als „kranker Mann von Europa“ wahrgenommen wurde. Seine Infrastruktur im Verfall, von fortwährenden Arbeitskämpfen geschüttelt, seine einst führende Industrie am Rande des Ruins. Erst 1979, ein Jahr vor der Veröffentlichung des Romans, nahm die konservative Margret Thatcher von den Tories, denen sich der Ex-Kommunist Amis verbunden fühlte, der linken Labour Party die Regierung aus der Hand, der von weiten Teilen des Elektorats die Verantwortung für den Niedergang zugeschrieben wurde.

Für die folgenden zehn Jahre führte Thatcher eine Regierung, in der sie dem Land einen tiefgreifenden, aber auch heftig umstrittenen Wandel unterzog, und der sie bis heute für viele Briten zur Haßfigur macht. Und doch bleibt es ihr Verdienst, daß sie damit einem Leichnam nochmal etwas Leben einhauchte.

Kingsley Amis
Das Auge des Basilisken
303 Seiten
Heyne Verlag, 1984
Nur noch antiquarisch erhältlich

Der Städte Niedergang ist auch der des Menschen

„Da waren die Städte, Mikrokosmen des menschlichen Gemeinwesens, riesige Wesen von sehr stark individuellem Charakter, die ihre Bewohner durch Gewohnheit, durch Liebe und durch die unsichtbaren Fäden an sich banden, die auch die ersten Menschen aneinandergebunden hatten, denn außerhalb der Wärme des vom Feuer beleuchteten Kreises herrschte Dunkelheit und beobachtete sie das Unbekannte mit wölfischen Augen“ („Die letzten Städte der Erde“, C.J. Cherryh)

Menschliche Zivilisation ist nicht denkbar ohne Urbanisation. Erst mit der Gründung von Städten kulminierten die schöpferischen und sozialen Potentiale des Menschen derart, daß ohne sie kein technologischer Fortschritt, kein Wohlstand denkbar wären. Hier vollzog sich vielfältigster Austausch und Wandel auf engstem Raum und strahlte wiederum aus auf andere Städte. Über die meisten der ersten Stadtgründungen wie Ur und Babylon legt sich schon lange der Staub. Und doch ist einigen von ihnen schon eine lange Lebensdauer beschert und wir blicken inzwischen zurück auf eine lange und rumreiche Vergangenheit.

1981 wagte die amerikanische Science-Fiction-Schriftstellerin C.J. Cherryh einen literarischen Blick in die Zukunft einiger der berühmtesten und bedeutendsten Kapitalen der Menschheit. „Die letzten Städte der Erde“ – 1985 in deutscher Übersetzung im Heyne Verlag erschienen – vereinigt sechs Erzählungen über die Metropolen Paris, London, Moskau, New York, Peking.

Aus dem umfangreichen Opus von Cherryh sticht dieses Buch insofern heraus, daß es sich nicht eindeutig der Science-Fiction zuordnen läßt. Seit sie 1976 mit „Brüder der Erde“ ihren Durchbruch feierte – zu einer Zeit, als dieses Genre fast eine reine Männer-Domäne war -, blieb sie innerhalb des Rahmens der Space Opera bzw. der Hard-Science-Fiction. In „Die letzten Städte der Erde“ sind jedoch mit dem Auftreten von Geistern auch Elemente der Fantasy enthalten. Zudem steht es als Einzelwerk für sich alleine, denn üblicherweise überspannen Cherryhs Romane ganze Zyklen wie den der „Chanur“ oder den „Alliance-Union-Zyklus“.

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Cherryhs „Die letzten Städte der Erde“ liest sich wie ein Trauerlied. Dazu passt schon die Einbettung in eine künftige, sehr weit entfernte Epoche, in der „die Sonne matt geworden war und von Krankheiten befallen, bevor der Mond glühend und riesig am Himmel hing, in den Raumhäfen die Schiffe von den Sternen weniger geworden waren und der Gründe für Ambitionen noch weniger.“ Von Hyper-Technologie ist darin keine Spur, im Gegenteil, atavistische Tendenzen, also Rückschläge in vergangene Muster, haben sich eingestellt.

Die erste Erzählung „Der einzige Tod in der Stadt“ ist Paris gewidmet. Sie wuchs derart in Breite und Höhe, so daß sie nun den Fluß „Sin“, die einstige Seine, umschloß. Das Leben ist gezeichnet in dem Zyklus von Tod und Wiedergeburt. Es ist die Geschichte von Jade Alain und Onyx Ermine, die jeweils verschiedenen bedeutenden Häusern angehören. Alains Liebe zu Ermine erwidert diese mit einer zynischen Wette. Sie wird ihn heiraten, jedoch: „Du wirst nach diesem vierten Jahr den Tod erleiden, und ich werde im nächsten Leben nichts mit dir zu tun haben.“ Aber der Tod wird bei dieser Wette noch ein Wort mitreden…

Die vielleicht beste Erzählung ist „Der Spukturm“, angesiedelt in London. Der am Themseufer stehende Tower scheint die Konstante dieser Stadt sein. Die einst im Mittelalter errichtete Festung findet in dieser weit entfernten Zukunft wieder zurück zu ihrer früheren Bestimmung, als Gefängnis für bedeutende Personen. Dieses Mal trifft es Bettine Maunfry, die Geliebte des Bürgermeisters, die unwissentlich zum Spielball einer Intrige um dessen korrupte Machenschaften gerät und dabei zum Auslöser einer Revolution gegen seine Herrschaft wird. Doch vorher trifft sie in ihrem Verlies auf die Geister von Richard und Edward, jene zwei kleinen Prinzen, die vermutlich an ebendiesem Ort einem durch ihren Onkel, den englischen König Richard III. (1452 – 1485), in Auftrag gegebenen Mord zum Opfer fielen. Ebenso lernt sie den Geist von Marcus Atilius Regulus kennen, ein Legionär, der während der römischen Zeit Britanniens zu Tode kam und sich Bettine als Psycho-Pomp, ihren Seelenführer in das Jenseits, anbietet.

„Eis“ ist der Moskau gewidmete Titel und passt auch hervorragend in das Sujet dieser Stadt, die schon durch ihre geographische Lage besonders den winterlichen Härten ausgesetzt ist. Andreij Gorodin ist der Protagonist dieser Erzählung, der auf seinem Pony reitend, bewaffnet mit einem Bogen, außerhalb der Mauern dieser Stadt sein Jagdglück versucht. Dem eisigen Winter zum Trotz bietet der Anblick der Stadt etwas Erhabenes: „Nur die Schönheit existierte, die über Moskva lag und die die Stadt umgab. Sie würde ihm den Geist rauben oder ihn das Augenlicht kosten.“ Doch er ist nicht allein auf der Suche nach Beute. Auch die Wölfe sind auf seiner Spur.

Rom, auch die „Ewige Stadt“ genannt, wird aus dem Lotuspalast heraus regiert von Elio DCCLII (dem 752.), einem zwölfjährigen Tyrannen, „bockig, verdorben, gefährlich.“ Die Dekadenz, der diese Stadt – wie auch die übrige Erde – verfallen ist, zeichnet sich durch die Sucht nach Vergnügungen und Träumen aus; Träume, denen ein Apparat realistische Nähe verleiht. Der Inhalt dieser Träume ist die Menschenjagd – „Nächtliche Spiele“. Und wehe, wenn der Tyrann kein Vergnügen an seinen Träumen findet…

Einzig die Hommage auf New York – „Der Highliner“ – wirkt futuristisch. Es ist eine Parabel auf die wohl unausrottbare Korruption, unter der die Stadt traditionell leidet. Johnny Tallfeather gehört zur Gruppe der Highliner, die in den oberen Bereichen der gigantischen Wolkenkratzer Wartungs- und Reparaturarbeiten vornehmen. Es ist eine harte und sehr gefährliche Arbeit, der er und seine Schwester Sarah mit entsprechendem Selbstbewußtsein nachgehen. Eine Betreibergesellschaft setzt ihn und seine Mannschaft unter Druck, für ein Schmiergeld im entscheidenden Moment wegzusehen. Widerwillig läßt sich Johnny auf den Deal ein. Doch die Gegenseite spielt falsch, und seine Schwester erleidet einen tödlichen Unfall. Johnny sinnt auf Rache…

In „Der General“ wiederholt Cherryh das historische Muster, daß dem chinesischen Peking in seiner Geschichte oft widerfahren ist, die blutige Eroberung durch Usurpatoren und Invasoren. Wie im Mittelalter ist die Stadt bedroht durch einen Barbarenhäuptling, der seine Karriere mit dieser besonderen Beute krönen will. Die Bewohner der „Stadt des Himmels“ wirken hilflos im Angesicht der Gefahr, die sich aus den Weiten des Westens kommend vor den Mauern der blühenden Verbotenen Stadt aufbaut. Selbst ihre Soldaten haben das Kämpfen verlernt. Peking „liebte ihr Alter. Sie fand das Leben schön. Sie wußte kein großes Ziel mehr für sich, denn ihr letzter Zug nach draußen lag schon lange zurück; sie ruhte am Ende der Tage.“ Doch was treibt Yilan Baba, Vater Schlange, wie der Barbaren-General von seinen Männern genannt wird, wirklich nach Peking? Ist sein Eroberungszug nur eine Inszenierung, hinter der er tatsächlich etwas ganz anderes verbirgt?

Fantasy trifft Science-Fiction trifft Historik – die Geschichten der „Letzten Städte der Erde“ sind Tragödien des Niedergangs, von Cherryh formuliert in einer außerordentlich poetischen Sprache. Das Buch ist dabei aber durchaus auch tagespolitisch zu verstehen durch das darin enthaltene tragende Motiv des zwangsläufigen Niedergangs der Zivilisation durch die Dekadenz ihrer Menschen. Hier bricht deutlich die weitgereiste Altphilologin in ihr durch, die vor ihrer preisgekrönten Karriere als freie Schriftstellerin Alte Geschichte unterrichtete. Letztlich ragt das Buch wie ein Kleinod heraus aus dem Gesamtwerk einer der außergewöhnlichsten Autorinnen der Science-Fiction. Es ist ein Klassiker, den jeder Liebhaber der Scifi gelesen haben sollte.

Am 1. September 1942 in St. Louis / Missouri geboren, feiert C.J. Cherryh (eigtl. Caroline Janice Cherry) heute ihren 81. Geburtstag.

C.J. Cherryh
Die letzten Städte der Erde

236 Seiten
Heyne, 1985
Nur noch antiquarisch erhältlich