Der notwendige Verrat am eigenen Land

Ideen, die man im Suff entwickelt, können ungeahnte und unliebsame Folgen nach sich ziehen. Obwohl durchaus trinkerfahren wird Bartholomew Scott Blair, kurz „Barley“, Inhaber eines notleidenden britischen Verlagshauses, auf unsanfte Weise an diesen Allgemeinplatz erinnert. Es ist Ende der 1980er Jahre, Blair feiert mit einer Gruppe russischer Literaten in einer Datscha in Peredelkino, einer Siedlung unweit von Moskau, wo auch die vom sowjetischen Staat anerkannten Künstler einen Wohnsitz erhalten. Blairs vom Alkohol gelöste Zunge läßt nicht locker:

„Es gibt nur eine Hoffnung: Wir müssen Verrat an unserem Land begehen. Nur so können wir uns gegenseitig retten.“

Doch ein stiller Gast, der nur als Dante bekannt ist, hört Barley sehr aufmerksam zu. Und er wird ihm beim Wort nehmen.

So ist der Einstieg in „Das Rußland-Haus“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans des Briten John le Carré (1931 – 2020) aus dem Jahre 1989. Le Carré war seit „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1963) berühmt für seine Agentenromane. Mit dem Plot des „Rußland-Hauses“ bewies er wieder einmal den richtigen Riecher für einen Erfolgsroman, der die damalige Aufbruchstimmung durch die vor allem durch den russischen Staatsführer Michail Gorbatschow verkörperte Entspannungspolitik aufnahm. Bereits im Folgejahr kam die Verfilmung in die Kinos, in den Hauptrollen Sean Connery als Barley und Michelle Pfeiffer als Katya Orlova.

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Über Katya als Mittelsfrau will Dante (gespielt von Klaus Maria Brandauer) Barley ein Manuskript zur Veröffentlichung im Westen zukommen lassen. Sein Inhalt seiner Notizbücher bedeutet nicht allein Sprengstoff für den Ost-West-Konflikt, sondern auch für die Profiteure des Rüstungswettlaufs. Denn wenn Dantes Informationen stimmen, dann hat die atomare Rüstung der Sowjetunion nur noch Schrottwert und stellt damit keine Bedrohung für den Westen mehr dar: „Wie wollen Sie was am Wettrüsten verdienen, wenn der einzige Arsch, mit dem Sie um die Wette rüsten, ihr eigener ist…?“

Doch durch widrige Umstände gelangt das Manuskript ausgerechnet in die Hände des britischen Nachrichtendienstes. Der möchte mit seinen amerikanischen Partnern vom CIA zu gerne die Quelle des Manuskriptes für seine Zwecke vereinnahmen. Aber dafür benötigen sie ausgerechnet die Hilfe des ihnen unberechenbar erscheinenden Spionage-Laien Barley. Doch als Gefahr für Katya droht, geht Barley für die Frau, in die er sich inzwischen verliebt hat, mutig seinen eigenen Weg und begeht für seine große Liebe Katya Verrat an seinem Land: „Du bist jetzt mein einziges Land.“

Katya Orlowa (Michelle Pfeiffer) und Bartholomew Scott Blair (Sean Connery)

Dem australischen Regisseur Fred Schepisi ist mit dem „Rußland-Haus“ damals einer der Erfolgsfilme des Jahres gelungen. Das Drehbuch hielt sich eng an die Romanvorlage. Außergewöhnlich ist seine Atmosphäre, die ohne jede Action allein von der Spannung des Plots getragen wird, ohne durch das Verhältnis von Barley und Katya in eine Schmonzette abzugleiten. Es fließt kein Blut, er kommt ohne jeden spektakulären Effekt aus. Für den Cast wurden auch in den Nebenrollen namhafte Schauspieler verpflichtet wie Roy Scheider („Der weiße Hai“), James Fox („Reise nach Indien“) sowie J.T. Walsh („Good Morning, Vietnam“). Und Jerry Goldsmith hat als Komponist des mit Jazz-Elementen durchsetzten Soundtrack dem Film eine zusätzliche meisterliche Note verliehen.

Inhaltlich läßt sich „Das Rußland-Haus“ auch als kritische Abrechnung mit den Geheimdiensten, deren Arbeit le Carré aus eigener Anschauung kannte, verstehen. Die Mentalität der Protagonisten aus diesem Milieu ist gekennzeichnet von Zynismus und Zweckrationalität. Das Mißtrauen gegenüber anderen ist in ihre eigene Natur übergegangen, so daß ihnen selbst nicht zu trauen ist; die Lüge wird zu ihrer eigentlichen Natur. Dante warnt Barley eindringlich:

„Sie tragen heute grau, Barley. Mein Vater wurde von grauen Männern ins Gefängnis geschickt. Erschossen wurde er von einem grauen Mann in Uniform. Und es waren graue Männer, die meinen Beruf zerstört haben. Seien Sie vorsichtig, sonst werden sie auch Ihren zerstören.“

Dante (Klaus Maria Brandauer) und Bartholomew Scott Blair (Sean Connery)

Wie ein roter Faden zieht sich beißender Sarkasmus durch den Film. CIA-Mann Clives bissige Bemerkungen über die Experten-Auswertung von Dantes Manuskript liest sich wie ein zeitloses Bonmot auf die heute so viel beschworenen Parole „Folgt der Wissenschaft“:

„Unsere Experten haben festgestellt, daß dieses Notizbuch sehr schnell geschrieben wurde oder sehr langsam, von einem Mann oder einer Frau, im Ernst oder im Scherz, der Schreiber war Rechtshänder oder Linkshänder, er war Wissenschaftler und doch kein Wissenschaftler. Und meine Meinung ist: Für Experten ist keine Toilette tief genug.“

Doch den Film zeichnet noch eine Besonderheit aus. Aus der Rückschau – aus der heutigen Zeit des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – läßt sich kaum glauben, daß es damals für die in Russland spielenden Szenen eine offizielle Drehgenehmigung an den Originalschauplätzen gab. Noch fast zehn Jahre zuvor mußte für den Film „Gorky Park“ Finnland als Ersatz herhalten. Ein keineswegs unwesentliches Detail als Beweis für den Fortschritt des von niemanden so erwarteten politischen Tauwetters.

Wies US-Präsident Reagan der Sowjetunion noch wenige Jahre zuvor die Rolle des „Reiches des Bösen“ zu, so gab le Carré durch seinen unwahrscheinlichen Helden Barley eine Sympathieerklärung an das russische Volk ab:

„Ich liebe das Land nun mal. Ich fühle mich davon angezogen. Es ist alles so schäbig dort. Sie sind so rückständig dort, dabei geben sie sich so viel Mühe. Die armen Schweine, sie würden gerne so leben wie wir. Sie haben alle so viel Herz, so viel Naivität. Und sie halten übrigens immer ihr Wort.“

Der Fall des Eisernen Vorhangs und der Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa 1989/90 sollte „Das Rußland-Haus“ noch während seiner Aufführung inhaltlich regelrecht überrollen. Erstaunlicherweise kam der Film bei der Oscar-Verleihung nicht einmal in die Nominierung, trotz der Höchstleistung von Connery und Pfeiffer. Doch das sollte seinen Wert nicht schmälern. Mehr als 30 Jahre später ist „Das Rußland-Haus“ ein Klassiker, eine wehmütige Reminiszenz daran, was einmal möglich schien.

So hob das Ende des Kalten Kriegs die Hoffnungen auf eine globale Friedensepoche auf bis dahin ungekannte Höhen, gar das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) in Form eines Siegeszugs des liberal-kapitalistischen Demokratiemodells schien in greifbare Nähe. Doch in der Dresdner Kommandantur des KGB schwor sich ein „grauer Mann“ Rache für den als demütigende Niederlage empfundenen Untergang der Sowjetunion. Sein Name: Wladimir Putin. Er sollte seine Chance bekommen…

Das Russland-Haus
Mit Sean Connery, Michelle Pfeiffer

und Klaus Maria Brandauer
1990, 1:58 h
John le Carré
Das Russland-Haus
2001, 431 Seiten
List Verlag

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